Autorin Sharon Dodua Otoo.

Foto: Ralf Steinberger

Der Ort Totope an der ghanaischen Küste im Jahr 1459. Das Neugeborene der Erzählerin Ada ist soeben gestorben, sie wickelt es in ein Tuch, umschlingt das Bündel mit einer Perlenkette, und die Begräbniszeremonie steht bevor. Da kommt der "weiße Mann" im Dorf an, es ist namentlich der portugiesische Kaufmann Guilherme. Die Hitze Afrikas verträgt er schlecht, muss aber seine Gläubiger befrieden und ist deshalb hierher aufgebrochen. Er will mit dem vermeintlichen Herrscher des Kontinents Handel treiben. Das wird misslingen, aber er wird mit der Kette als Beute heim nach Lissabon fahren und seine Schulden begleichen.

So weit eine der vier Geschichten in Sharon Dodua Otoos Roman Adas Raum. Ineinander verschlungen erzählt sie darin von vier Adas zu vier Zeiten. Die Absicht dahinter ist ambitioniert, sie spinnt eine Erzählung über verschiedene Arten von Unterdrückung aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht oder politischem Wahn.

Bekanntheit erreichte Otoo, als sie 2016 den Bachmannpreis für Herr Gröttrup setzt sich hin gewann, eine Geschichte, erzählt von einem Frühstücksei, das durch die Weltgeschichte reist. Es war ihr erster auf Deutsch verfasster Text überhaupt, Adas Raum ist nun ihr erster Roman. Die Themen Rassismus und Kolonialismus beschäftigen Otoo aber schon lange. 1972 als Tochter ghanaischer Eltern in London geboren, lebt sie seit 2006 in Berlin und ist sowohl als Autorin und Herausgeberin als auch als politische Aktivistin tätig.

Aus Sicht des Türklopfers

Es dauert ein wenig, bis man in Adas Raum hineinfindet. Denn so kompakt wie eingangs dargestellt erschließt sich die Geschichte nicht. Nicht nur zersplittert Otoo die vier Erzählstränge, sondern auch die Erzählperspektive und pflegt dabei eine Herangehensweise, die dem Afrofuturismus und dem magischen Realismus nahesteht. Über weite Strecken erzählt Otoo also aus der Sicht von Dingen.

Ein Türklopfer bringt uns 1848 der Mathematikerin Ada Lovelace in London näher, die von ihrem Liebhaber Charles Dickens für ihre Idee einer "analytischen Maschine" belächelt wird und rechtlich nicht mehr als ein Anhängsel ihres Mannes ist. Ein Zimmer erzählt 1945 das Schicksal der Zwangsprostituierten Ada in einem Nazi-Arbeitslager. Im Berlin von heute, dessen Ada dann die zweite Hälfte des Buches einnimmt, ist es ein britischer EU-Reisepass, der erzählt.

Erklärung dafür ist ein seit Jahrhunderten reinkarnierender Geist. Betroffen von dem, was der ersten Ada widerfahren ist, das er in seinem Beisein als Besen nicht verhindern konnte, befindet er sich auf einem Wiedergutmachungstrip quer durch die Epochen.Ist seinesgleichen gerade nicht materialisiert, schwebt man im Jenseits mit Gott und spielt Karten. Das ist in der Tat etwas albern, wie der Humor öfter betulich gerät.

Frauen als Opfer

Auf der Habenseite führt das Buch aber eine Kontinuität von Gewalt in verschiedenen Kontexten vor Augen. Passend dazu, dass stets Frauen die Opfer von Männern sind, meidet Otoo das geschlechtslose, aber von manchen als männlich wahrgenommene Pronomen "man" und benutzt stattdessen "mensch".

Am meisten Aufmerksamkeit widmet Otto ihrer vierten Ada, die 2019 aus Ghana in Berlin angekommen ist. Aktuelle Entwicklungen von der Cancel Culture gegenüber Erobererstandbildern bis zur Restitution von kolonialen Raubgütern – die Perlenkette, die sich durch alle Geschichten zieht! – werden hier angerissen. Und auf Wohnungssuche hat die schwangere junge Frau aus Ghana mit Vorurteilen zu kämpfen: "Viel zu oft hatte ihr Körper sie verraten, bevor Ada überhaupt den Mund aufmachen konnte."

Doch das kreative Feuerwerk, zu dem Otoo mit ihren überraschenden Erzählerstimmen formal ansetzt, löst Adas Raum auf der inhaltlichen Ebene nur bedingt ein. Gespickt mit mal kleineren Hinweisen und mal expliziteren sozialen Kommentaren, erschöpft sich das Geschriebene leider oft in bereits Bekanntem und wirkt dadurch letztlich sehr brav. Die gut gemeinte Breite kostet den Roman manche Tiefe, die Verspieltheit debattierfreudige Schärfe. (Michael Wurmitzer, 26.2.2021)