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Die Corona-Krise hat den Trend hin zum Digitalen verstärkt – auch in der Musikbranche. Einige Veränderungen könnten für längere Zeit erhalten bleiben.

Foto: Reuters/HEO RAN

Die Musikindustrie hat in den letzten Jahrzehnten einen Wandel durchgemacht wie kaum eine andere. Einst war Musik nur das, was man in "echt" mit eigenen Augen und Ohren erlebte oder an dessen Produktion man mit eigener Stimme oder Händen beteiligt war. Erst als vor rund 140 Jahren die Phonographenwalze erfunden wurde, war es plötzlich möglich, Musik aufzuzeichnen und bei Bedarf wiederzugeben.

Mit den Möglichkeiten von Audiostreamingdiensten wie Spotify ist Musik heute überall, zu jeder Zeit und in allen Spielarten verfügbar. Hobbymusiker können dank sozialer Medien quasi über Nacht zu neuen Stars aufsteigen – im Internet steht ihnen ein potenziell millionenfaches Publikum zur Verfügung. Aber auf die Branche könnten noch weit mehr Veränderungen zukommen: Klügere Algorithmen analysieren unser Hörverhalten oder könnten bald selbst Welthits verfassen, neue Technologien Lautsprecher und Kopfhörer überflüssig machen.

Musik an Gemüt anpassen

Fest steht: In Zukunft wird es immer besser gelingen, die Musik an unser jeweiliges Hörverhalten und sogar unsere Tagesverfassung anzupassen. Der Musikdienstleister Spotify beispielsweise arbeitet an einem Algorithmus, der mithilfe von Spracherkennung feststellen soll, wann sich ein Hörer oder eine Hörerin traurig, fröhlich, ängstlich oder neutral fühlt. Das Programm soll anhand der Tonhöhe, des Akzents, der Intonation und des Rhythmus der Stimme aber nicht nur auf den emotionalen Zustand, sondern auch auf Alter, Geschlecht und Herkunft der Hörer und Hörerinnen schließen. Im Zusammenspiel mit den Daten, die Spotify bereits aus dem bisherigen Suchverhalten und den Follower-Circles der Nutzer ausgelesen und kategorisiert hat, sollen so noch bessere und individuellere Hörempfehlungen gemacht werden.

Auch beim Prozess des Liederschreibens versprechen sich die Entwickler große Möglichkeiten mit der künstlichen Intelligenz: Sie könnte eines Tages die Komposition ganz oder zu einem großen Teil übernehmen. Schon seit vielen Jahren sind Computerprogramme bei der Erschaffung neuer Musikstücke behilflich, insbesondere wenn es um klassische Musik geht. Indem Musiker und Musikerinnen den Programmen einzelne Liedbausteine "füttern", sollen diese im Anschluss neue Variationen daraus produzieren oder zu völlig neuen Ideen kommen. Zudem könnten komplexe Datenanalysen künftig dabei helfen, die "Erfolgsrezepte" für Welthits aufzuspüren und daraus Empfehlungen an die Musiker ableiten.

Dieses Musikstück wurde von künstlicher Intelligenz verfasst.
Aiva

Den Musikproduzenten geht es darum, ihre Werke so nah wie möglich an unsere Wünsche und Hörgewohnheiten anzupassen. Programme wie Auto-Tune, die falsche Tonlagen korrigieren und wohl so manchem Künstler zu großer Karriere verholfen haben, sind bereits so stark im Musikgeschäft integriert, dass wir die Korrekturen kaum noch erhören können. Wie sehr die Technik im Hintergrund mitgeholfen hat, wird meist erst bei Live-Auftritten ohne große technische Hilfsmittel klar.

Geräusche direkt ins Gehirn

Auch das Hörerlebnis selbst soll künftig neue Dimensionen erreichen. Schon im vergangenen Jahr machte der Unternehmer Elon Musk mit der Aussage auf sich aufmerksam, wonach es bald möglich sein werde, mithilfe von Chips Musik direkt ins Gehirn zu "streamen".

Tatsächlich will das israelische Unternehmen Noveto Systems schon mit Ende dieses Jahres seinen "Soundbeamer" auf den Markt bringen, ein Gerät, das Kopfhörer bald überflüssig machen soll. Mithilfe von Ultraschallwellen sollen die Geräusche direkt ans Ohr des Nutzers gesendet werden. Der Vorteil laut Entwickler: Jeder könnte überall seine Playlist hören oder sich während des Autofahrens Navigationsanweisungen ansagen lassen, ohne dass irgendjemand anderer im Raum die Geräusche hören kann. Trotzdem soll es weiter möglich sein, gleichzeitig alle Umgebungsgeräusche wahrzunehmen. Auch einen 360-Grad-Klang soll das Gerät für die Hörer möglich machen.

So soll der "Soundbeamer" aussehen.
Foto: Noveto Systems

Virtuelle Konzerte

Die Pandemie hat zudem den Trend hin zum Virtuellen auch in der Musikbranche gestärkt. Schon seit einigen Jahren arbeiten Entwickler daran, Musikerlebnisse auch in der virtuellen Welt real wirken zu lassen oder mittels erweiterter Realität Konzerte mit zusätzliches Effekten anzureichern. Das virtuelle Konzert des US-amerikanischen Musikproduzenten Marshmallow, das 2019 in dem Videospiel "Fortnite" stattfand und dort mehr als zehn Millionen "digitale" Zuseher fand, war für viele ein erster Blick in die Zukunft. Auch virtuelle Konzerte der Stargeigerin Lindsey Stirling, in denen sich Menschen als "Avatare" zuschalten können, haben bereits hunderttausende Zuschauer angezogen.

So weiterentwickelt die Technologien und Algorithmen erscheinen mögen, den sozialen und interaktiven Teil von Musik werden sie in vielen Fällen wohl nicht ersetzen können. Denn gute und bewegende Musik lebt für viele weiterhin von echten Konzerterlebnissen und privaten Musikveranstaltungen. Eben deshalb ist es wohl weder die volle maschinelle Übernahme noch ein Technologieverzicht, sondern jener Raum zwischen Algorithmen und menschlicher Kreativität und Interaktion, in dem künftig neue, bewegende Musik geschrieben und gehört werden könnte. (Jakob Pallinger, 27.2.2021)