Die kleine Bertha ("Peter gerufen") inspirierte den, trotz dokumentierter pädophilier Neigung, bis heute als Kaffeehausliteraten verharmlosten Altenberg zu seinem Künstlernamen. Das Original ließ er mitsamt einer Haarlocke rahmen und befindet sich im Wien Museum.
Foto: Hassfurther

"Sei, der du bist, nicht mehr, nicht weniger, aber der sei!" Das Zitat Peter Altenbergs gehört zu den berühmtesten des bis heute als Literat und Bohemien der Wiener Moderne verehrten. Im Web kursiert es als Weisheit, die einen "zu wahrer Größe" führe. Vor dem Hintergrund seiner pädophilen Obsession gelesen, dürfte es eher Brechreiz auslösen.

Als 2009 im Wallstein-Verlag das ursprünglich von Karl Kraus zusammengestellte, nun von Rainer Gerlach herausgegebene Das Buch der Bücher von Peter Altenberg in drei Bänden erschien, fand der Rezensent der NZZ deutliche Worte: "Die schamlose Begeisterung, mit der Altenberg in seinen Skizzen und Briefen seiner Pädophilie freien Lauf lässt und stolz berichtet, wie er eine auf seinem Schoß sitzende Siebenjährige auf den Mund geküsst habe, verschlägt einem schlicht die Sprache."

"Warum nur verzeiht man toten Künstlern so leicht, wofür sich lebende noch nach Jahrzehnten vor Gericht verantworten sollen?", NZZ (20.2.2010)

"Kleine Nymphchen"

Wer die Debatte zu Adolf Loos, dem wegen Pädophilie verurteilten Architekturgott, verfolgte, ahnt: Altenbergs Fangemeinde von einer für die Gegenwart nötigen Kontextualisierung zu überzeugen wird nicht einfach. Vom Mythos des etwas schrulligen Kaffeehausliteraten wird man sich hierzulande trotz seiner Vorliebe für "kleine Nymphchen" nicht kampflos verabschieden.

Autogrammkarte mit Sinnspruch: "Sei der Du bist, nicht mehr, nicht weniger, aber der sei!", gab Peter Altenberg seinen Fans mit auf den Weg.
Foto: Hassfurther

Als lebensgroße, einst für die Wiener Festwochen gefertigte Figur hockt er – für den eine Frau einst "immer zu alt und nie zu jung!" war – stoisch wie dekorativ sowohl im Bürgermeister-Büro als auch im Eingangsbereich des Café Central (seit Beginn der Pandemie mit Mund-Nasen-Schutz).

Versteigerung von Reproduktionen

Im November 1900 verfasste Altenberg im Café Central einen Brief, der Rezensenten seines Buchs "Was der Tag mir zuträgt" wohl milde stimmen sollte. Das auf 600 bis 1200 Euro geschätzte Autograph blieb bei Hassfurther Ende Jänner unverkauft.
Transkription: Verehrte Frau!
Anfang Dezember erscheint mein neues Buch, unter dem Titel "Was der Tag mir zuträgt",
gesammelte Studien! Bei meiner Freundschaft, meiner Verehrung für Ihre herrlichen Söhne,
flehe ich Sie an, schützen Sie mich, wenigstens in Ihrer Zeitschrift, vor der persönlichen
ränkevollen und versteckten Rache von Menschen, welche nun an meinem armen Kinde,
meinem Buche, sich dafür rächen wollen, daß ich eben Peter Altenberg bin! Sämmtliche Drei
sind Mitarbeiter Ihrer Zeitschrift! Schützen Sie mich vor Diesen!!!
In Ergebenheiten
Peter Altenberg
Foto: Hassfurther

Ende Jänner lockte Verehrer eine rare Gelegenheit: Bei Wolfdietrich Hassfurther kamen einige Autografen, Postkarten mit seinem Konterfei und Fotografien zur Auktion. Darunter eine Porträtkarte mit eingangs erwähntem und von "PA" mit 1918 datiertem Ausspruch. Sie blieb, zusammen mit zwei weiteren Karten, bei einem Schätzwert von 1500 bis 2500 Euro unverkauft.

Nach Deutschland verkaufte sich für 2400 Euro ein Konvolut, das auch sechs Aufnahmen von ihm Angebeteter samt schlüpfriger Prosa inkludierte: "mein Ideal von Haupt bis zu den Zehen! Dein knabenhafter Wuchs begeistert mich", kritzelte er zu einem Porträt der Schauspielerin Evelyn Landing (aus dem Atelier d’Ora), darüber "Modernes Griechentum: Dich nackt, splitternackt erträumen!".

Altenberg war vom "knabenhaften Wuchs" der Schauspielerin Evelyn Landing begeistert: "Moderne Griechentum: Dich nackt, splitternackt erträumen!" schrieb er auf deren Potraitaufnahme aus dem Atelier d’Ora.
Foto: Hassfurther

Ebenso zum Konvolut gehörte die 13-jährige "Bertha (Peter gerufen) Lecher" aus Altenberg. Die jüngere Schwester eines Schulfreunds des als Richard Engländer geborenen inspirierte ihn zu seinem Künstlernamen. Bei der von Hassfurther offerierten Auswahl handelte es sich freilich um jüngere Reproduktionen, die Originale befinden sich im Wien-Museum, genauer in dessen Depot.

Altenberg-Zimmer

Altenbergs Zimmer im Graben-Hotel war bis zu seinem Tod mit Porträts und Aktaufnahmen teils minderjähriger "Mäderln" tapeziert, die über seine Schwester Marie Mauthner 1927 an die Neue Galerie in der Grünangergasse gelangten.

Zehn Jahre nach dem Tod Altenbergs, der sich, wie Arthur Schnitzler notierte, vom "Irrsinn des Antisemitismus" anstecken ließ und schon einmal gegen die "jüdischen Schweine" wetterte, eröffnete Otto Kallir-Nirenstein im November 1929 in seiner Galerie das Peter-Altenberg-Zimmer: mit hunderten Fotografien, Manuskripten oder auch den Holzsandalen, "mit denen er täglich über den Graben klapperte", frönte die Wiener Gesellschaft dem Erinnerungskult.

Damals erwarb das heutige Wien-Museum die ersten Fotos und 1950 schließlich einen großen Teil des Nachlasses. Für die künftige Schausammlung ist, wie Michaela Lindinger, Kuratorin und Altenberg-Expertin, verrät, die Präsentation einiger Aufnahmen aus seinem Hotelzimmer geplant. (Olga Kronsteiner, 27.2.2021)