Wie der Stoffwechsel funktioniert, ist nicht bei allen Menschen gleich. Allerdings braucht es mehr als einen schnellen Gentest, um das herauszufinden.

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Es klingt verlockend: Etwas Speichel ins Labor schicken, und schon weiß man, wie der eigene Stoffwechsel funktioniert. Und vor allem, was man essen sollte und was nicht, um abzunehmen. Man könnte meinen, die Pfunde purzeln von allein. Wenn auch nicht ganz so direkt, die meisten Anbieter von Stoffwechselanalysen versprechen, dass das Abnehmen danach leichter fällt oder man dann zumindest weiß, welche Diät zu einem passt.

Dank der Stoffwechselanalyse könnten genetische Veranlagungsaspekte analysiert werden, heißt es. Daraus soll sich ergeben, ob man eher ein Kohlenhydrat-, Fett- oder Proteintyp ist – denn während manche Menschen auf eine kohlenhydratreiche Diät gut reagieren und rasch abnehmen, ist bei anderen möglicherweise das Gegenteil der Fall, heißt es etwa bei einem Unternehmen, das dem STANDARD einen dieser Tests zur Verfügung gestellt hat. Anbieter für diese Tests gibt es viele, sie lassen sich im Internet bestellen. Die Funktionsweise ist bei den meisten gleich.

Die Probenentnahme erfolgt zu Hause. Unser Proband nimmt mit bauschigen Tupfern einen Mundschleimhautabstrich und steckt diese anschließend in ein Röhrchen mit einer Flüssigkeit. Es wird verschlossen, verpackt und ins Labor geschickt. Einige Tage später ist sein DNA-Ergebnis-Report fertig. Kostenpunkt: rund 190 Euro.

Fett ist schlecht

Wichtigstes Ergebnis im Befund: Unser Proband ist ein Kohlenhydrat-Protein-Typ, heißt es im Report. Ihm wird eine deutlich fettreduzierte Ernährung empfohlen, denn sein Körper verstoffwechselt Kohlenhydrate und Proteine zwar sehr gut, Fett allerdings schlecht, denn es wird schneller in Körperfett umgewandelt, heißt es weiter.

Zudem sind die Neigung zu Übergewicht und Hungergefühl unseres Probanden neutral, seine Neigung zum Jo-Jo-Effekt ist allerdings hoch. Für ihn sei es daher wichtig, sein Verhalten bezüglich Ernährung und Bewegung dauerhaft umzustellen. Sportlich betrachtet ist unser Proband ein "Mischtyp" – was heißt: Er solle am besten auf eine ausgewogene Mischung von Ausdauer- und Kraftsport setzen und mehrmals wöchentlich ein zeitlich nicht zu kurzes Sportprogramm absolvieren, um einen optimalen Gewichtsreduktionserfolg zu erzielen.

"Na no na net", könnte man sagen. Und tatsächlich klingt das alles nach sehr allgemeinen Empfehlungen, die Ernährungsberater wohl auch jedem anderen Abnehmwilligen geben würden – auch ohne Stoffwechseltest. Das bestätigt auch der Humangenetiker Michael Speicher von der Med-Uni Graz, der sich den DNA-Ergebnis-Report unseres Probanden näher angesehen hat: "Am Ende empfehlen alle Hersteller eine gesunde Lebensweise, wenig Zucker, Bewegung und eine ausgewogene Ernährung – das sind aber alles Ratschläge, die man jedem mit auf den Weg geben kann." Speicher kritisiert diese Stoffwechselanalysetests deshalb als "Geldschinderei" und vergleicht sie mit einem "genetischen Horoskop".

23 "Snips" untersucht

Doch was genau wird bei diesen Tests im Labor untersucht? Laut Hersteller wird für jedes der Kernergebnisse, also etwa Stoffwechseltyp, Sporttyp oder Neigung zu Übergewicht, eine Kombination an sogenannten Single-Nucleotiden-Genvarianten (Polymorphismen) analysiert, von Humangenetikern auch als SNPs (gesprochen "Snips") bezeichnet. Konkret wurden laut dem vorliegenden Bericht 23 dieser SNPs in 19 Genen untersucht.

Um diese SNPs überhaupt erst mit Faktoren wie Übergewicht in Verbindung zu bringen, werden von Genetikerinnen und Genetikern riesige Studien mit bis zu einer Million Probandinnen und Probanden durchgeführt, erklärt Speicher: Jene Menschen mit und ohne Übergewicht werden dann verglichen und dadurch entstehen bei bestimmten SNPs Assoziationen. "Es werden viele Regionen des Genoms untersucht, die alle für sich nur einen sehr geringen Effekt haben", sagt Speicher. Um diesen überhaupt messen zu können, brauche es hohe Fallzahlen, so der Genetiker weiter.

Wird also eine große Population untersucht, kann es sein, dass ein bestimmter SNP gehäuft vorkommt – für das einzelne Individuum heißt das aber nichts, sagt Speicher und bringt folgenden Vergleich: Würde man alle Raucher davon überzeugen, mit dem Rauchen aufzuhören, würde die Anzahl der Lungenkarzinome in der Bevölkerung abnehmen. Für das Individuum bedeute das aber nicht, auch wenn hier ebenfalls das Risiko sinkt, dass es nicht dennoch an einem Karzinom erkranken wird. "Dass die Aussagen in diesen Stoffwechselanalysen so stark von Populationsdaten auf Einzelne heruntergebrochen werden, ist sehr problematisch", sagt Speicher.

Geringer Einfluss

Zudem verstehe die Wissenschaft bisher bei vielen dieser SNPs noch gar nicht, wie sie tatsächlich körperliche Funktionen regulieren. Dass es bestimmte SNPs bei Übergewichtigen gibt, bedeute nicht, dass sie auch die Ursache für das Übergewicht sind. Von jenem Gen, das laut Forschungen auf Übergewicht den stärksten Einfluss hat, weiß man aus großen britischen Studien, dass sein wichtigster SNP nur 0,34 Prozent des Body-Mass-Index erklärt, so Speicher.

Aktuell kennt die Wissenschaft rund 300 SNPs, bei denen es eine Assoziation mit dem Body-Mass-Index gibt. In den meisten Stoffwechseltests wird aber nur eine Handvoll von ihnen untersucht. "Je mehr SNPs, desto aufwendiger und teurer der Test", so Speicher. Zudem brauche es Modelle, um diese SNPs und ihre Auswirkungen miteinander zu kombinieren, erklärt der Experte. Selbst in der Wissenschaft werde hier noch diskutiert, etwa ob sich die einzelnen Effekte addieren oder multiplizieren. Würde ein solcher Test zudem ernsthaft durchgeführt, müsse auch nach dem ethnischen Hintergrund der Probandinnen und Probanden gefragt werden – denn das Genom hat sich in allen Regionen der Welt unterschiedlich entwickelt, so Speicher. Beim vorliegenden Test wurde nach dieser Information nicht gefragt.

Einfluss überschätzt

Abgesehen davon spielt auch die sogenannte Heritabilität eine Rolle. Dieser Begriff bezeichnet, wie groß der Einfluss des Erbguts auf unseren Stoffwechsel, unser Gewicht und unsere Sportlichkeit überhaupt ist. Bei diesen Stoffwechseltests werde immer suggeriert, dass der Einfluss des Erbgutes sehr groß sei, so Speicher: "Wir wissen aber, dass gerade bei Übergewicht und Bewegung die Umwelt einen sehr großen Einfluss hat", so der Experte weiter und nennt als Beispiel, dass vor allem Erwachsene – anders als Kinder, die Essen verweigern, sobald sie satt sind – oft auch aus sozialen Aspekten essen, etwa aus Frust, aus Langeweile oder weil man bei einer Essenseinladung nicht unhöflich sein will.

Laut Schätzungen haben genetische Faktoren auf den Body-Mass-Index bei Erwachsenen über 30 Jahren höchstens einen Einfluss von 40 Prozent. "Allein mit einem DNA-Test kann der Stoffwechseltyp also nicht bestimmt werden, das wird aber im DNA-Report nicht einmal erwähnt", kritisiert Speicher. Aus all diesen Gründen "entbehren die Ergebnisse jeglicher wissenschaftlichen Grundlage", so der Experte weiter.

Mögliche Gefahren

Speicher kritisiert letztlich auch, dass die Menschen mit ihren Testergebnissen allein gelassen und schlecht aufgeklärt werden. "Manche fühlen sich danach vermutlich verwirrt und jene, die das Ergebnis besonders ernst nehmen, könnten Gefahr laufen, auf gewisse wichtige Grundnahrungsmittel zu verzichten", so der Genetiker, der eine ärztliche Begleitung für Tests dieser Art fordert.

Neben den Gefahren, die diese Tests mit sich bringen könnten, ist tatsächlich auch die Effektivität von Diäten anhand von Stoffwechselanalysen laut Forschern nicht gegeben, das zeigt etwa eine Studie der Universität Stanford aus dem Jahr 2018. Dafür haben sich 609 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen 18 und 50 Jahren für je ein Jahr entsprechend ihrer Stoffwechselanalyse fett- bzw. kohlenhydratreduziert ernährt. Letztlich fanden die Forscher keinen Zusammenhang zwischen der genetischen Veranlagung und den Chancen, mit einer der beiden Diäten erfolgreich zu sein. (Bernadette Redl, 25.4.2021)