Die deutsche Tanzperformance "Rose La Rose" inkludiert eine Moderatorin für Sehbehinderte – diese wird Teil der Darbietung.

vera drebusch

Ein Vorhang bildet die Form eines Uterus. Davor, darin und dahinter tanzen Lisa, Caro und Tian, während Ursina eine "künstlerische Audiodeskription" liefert. Ein Flachbildmonitor ist auch da. Er zeigt Amelia in ihrer Wohnung mit Bett und Katze. Wir befinden uns in der Halle P1 des Kulturzentrums Kampnagel in Hamburg. Dort wurde die Uraufführung der Tanzperformance Rose La Rose von Carolin Jüngst (31) und Lisa Rykena (32) ohne Publikum gefilmt. Per Stream ist sie online zu sehen.

Ursina Tossi erweist sich als Star dieser queeren Arbeit: Sie erklärt über 80 Minuten lang mit souveräner Stimme, was im Video zu sehen ist. Ihre Hörbeschreibung ist für jene gedacht, die nicht sehen können. Doch Tossis inszenierte Barrierebefreiung leistet nicht nur ein Service, sondern wird als dem Tanz gleichwertiges Element des Stücks konsequent durchgezogen.

Barrierefreiheit

Für Sehende ist das ungewohnt. Aber mit der Zeit erinnert es an Sportkommentatoren im Fernsehen, die den Fans sagen, was sie gerade sehen. Hier bedeutet Queerness Eindeutigkeit. Jüngst und Rykena streben auch eine geistige Barrierefreiheit an, durch die das Publikum ihr Werk genauso erfährt, wie es seine Schöpferinnen meinen. Dazu kommen noch Einleitung und Publikumsgespräch, und fort ist die Qual jener Ungewissheit, die uns künstlerische Deutungsspielräume im Normalfall einbrocken.

Bei Rose La Rose spielen nette Leute mit. Sie geben offen zu, dass sie sich mögen. Zum Beispiel: Nicht nur Tian genießt sein Beinfell, Amelia zeigt stolz ihr Achselhaar respektive, wie Lisa, ihr Oberlippenbärtchen. Gekleidet in rosa, lila, purpurne, beige Bequemstoffe – Tian Rotteveels Pulli wirkt mollig –, zeigen sie sich als ihre eigene große Zukunftsvision. Wer das seltsam findet, möge sich im Vergleich die waffengeilen Witzfiguren der amerikanischen Proud Boys vorstellen. Dagegen setzt Tians handgestrickter Körperwärmer ein echtes Hoffnungspelzchen.

Locker bleiben

Im Tanz bleiben die Darsteller locker. Nur nicht zu sehr anstrengen, und wenn doch, wird gleich eine Pause eingelegt. Mit Werbung: Die DVD von Rose La Rose wird käuflich zu erwerben sein. Da kann man Lisas "future walk" nebst einer Echtfleisch-"Reproduktionsmaschine" noch einmal genauer anschauen und sich vorstellen, was Amelia im Dunkeln mit ihrer Karotte macht.

So wird für einen anderen Lebensstil geworben: "In Zukunft müssen wir unsere Gepflogenheiten ändern." Das stimmt, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass Jüngsts und Rykenas Überdeutlichkeit einen faden Nachgeschmack hinterlässt. (Helmut Ploebst, 1.3.2021)