Im Wahlkampf war es vor allem um Korruption gegangen, kaum um Corona. Als die Slowakinnen und Slowaken vor einem Jahr, am 29. Februar 2020, ein neues Parlament wählten, da stand das Land noch spürbar im Zeichen des Mordes am Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová zwei Jahre zuvor.

Nach der Wahl ging dann alles sehr schnell: Nur drei Wochen später wurde die Regierung des neuen Premiers Igor Matovič angelobt, der mit dem Versprechen angetreten war, den Sumpf aus politischer Macht und Geschäftemacherei trockenzulegen, über den Kuciak geschrieben hatte – und der ihm wohl zum Verhängnis geworden war.

Die Angelobung im März 2020 hätte sich Igor Matovič (links) wohl weniger steril vorgestellt. Vom ersten Tag an bestimmte Corona seine Agenda.
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Für die Slowakei war es eine Zeitenwende. In doppelter Hinsicht. Die Bilder der Vereidigung gingen um die Welt. Grund: Die Beteiligten trugen Mund-Nasen-Schutz, ein Novum in der damaligen Frühphase der Pandemie. Noch bei den Siegesfeiern am Wahlabend war weit und breit keine Maske zu sehen gewesen. Wer heute die Bilder miteinander vergleicht, wird erinnert an das atemberaubende Tempo, mit dem Corona nahezu weltweit zum dominierenden Faktor der Politik wurde.

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Bei den Siegesfeiern am Wahlabend war weit und breit keine Maske zu sehen.
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Nun, ein Jahr später, leidet die Slowakei besonders stark unter der Pandemie – vor allem wenn man auf die Zahl der Toten blickt. In den vergangenen Tagen starben in dem 5,5-Millionen-Einwohner-Land im Schnitt knapp 90 Menschen täglich an oder mit einer Corona-Infektion. Zum Vergleich: Beim Nachbarn Österreich mit etwa neun Millionen Einwohnern waren es knapp 25.

Hilfe aus Österreich

Warum das so ist, darüber zerbrechen sich auch Expertinnen und Experten den Kopf – und ziehen häufig den Schluss: Wir wissen es nicht. Tatsache ist, dass viele Spitäler an oder über der Kapazitätsgrenze arbeiten. Das österreichische Bundesheer stellte inzwischen medizinisches Personal zur Verfügung, nachdem die Slowakei die EU um Hilfe gebeten hatte. Doch wie in den meisten Ländern hinkt eine detailgenaue Analyse dem realen Geschehen hinterher – und scheitert letztlich an einer Mauer aus Dunkelziffern und statistischem Chaos.

Derzeit sorgt vor allem der vereinbarte Ankauf des russischen Impfstoffs Sputnik V für Debatten, erzählt der Politikwissenschafter Grigorij Mesežnikov, Chef des Instituts für öffentliche Angelegenheiten in Bratislava. Die konservative Vier-Parteien-Koalition ist in dieser Frage gespalten, doch Premier Matovič, Chef der rechtspopulistischen Partei OĽaNO ("Gewöhnliche Menschen und unabhängige Persönlichkeiten"), will Sputnik V haben und zieht die Entscheidung auch gegen einen gültigen Kabinettsbeschluss durch.

Matovič gilt als konfliktfreudig, viele werfen ihm einen Hang zu politischem Aktionismus vor. Die beiden Corona-Massentests, die europaweit für Interesse gesorgt hatten, galten in der Slowakei selbst bald als Rohrkrepierer – auch weil aus den Momentaufnahmen kaum Konsequenzen gezogen worden seien. "Es wurden lediglich die aktuell Infizierten herausgegriffen, aber weiter ist man nicht gegangen", sagt Mesežnikov. So habe es kein Contact-Tracing gegeben, zudem wollte man einen härteren Lockdown vor Weihnachten vermeiden. Auffällig: Während Österreich bereits Mitte November den Höhepunkt an täglichen Neuinfektionen verzeichnet hatte, kam dieser in der Slowakei erst um den Jahreswechsel.

Berufung im Fall Kuciak

Der von der Regierung ausgerufene Kampf gegen Korruption sei von der Pandemie aber kaum beeinflusst worden, räumt Mesežnikov ein. Die politischen Bedingungen für die Aufklärung vieler Causen hätten sich merklich verbessert.

Im Mordfall Kuciak übrigens wurden inzwischen der Todesschütze, ein Handlanger und ein Vermittler zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Der Unternehmer Marian Kočner, der als mutmaßlicher Drahtzieher vor Gericht stand, wurde in erster Instanz aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Auf das Berufungsverfahren wartet er hinter Gittern: Er verbüßt seit kurzem eine 19-jährige Haftstrafe wegen eines Betrugsdelikts. Rechtskräftig. (Gerald Schubert, 1.3.2021)