Seepferdchen sehen nicht unbedingt aus wie typische Fische und auch um ihre Schwimmfähigkeiten ist es im Vergleich zu den meisten anderen Fischarten eher schlecht bestellt – und doch sind sie in so gut wie allen tropischen und gemäßigten Weltmeeren zu finden. Was das Erfolgsgeheimnis dieser seltsamen Tiere ist, bei denen die Männchen die Jungen zur Welt bringen, haben Forscher nun anhand von fast 360 Seepferdchen-Genomen untersucht. Mithilfe eines daraus erstellten Stammbaums von 21 Arten konnte sie die Verbreitungswege der Seepferdchen über die Weltmeere rekonstruieren und nachvollziehen, wo und wann neue Arten entstanden sind.

Der internationalen Forschungskooperation mit Beteiligung der Arbeitsgruppe des Evolutionsbiologen Axel Meyer von der Universität Konstanz und Wissenschaftern aus China und Singapur gelang es, mit dem bislang größten Datensatz zu Seepferdchen-Genomen auch Faktoren zu identifizieren, die den entwicklungsbiologischen Erfolg der Seepferdchen ausmachen: schnelle Anpassungsfähigkeit und große genetische Variabilität.

Eine Besonderheit der Seepferdchen ist, dass bei ihnen die Männchen trächtig werden, indem ihnen die Weibchen beim Geschlechtsakt die Eier in die dafür vorgesehene Bauchtasche spritzen, wo sie vom männlichen Sperma befruchtet werden.
Foto: Ralf Schneider

Greifschwanz statt Flossen

Seepferdchenarten der Gattung Hippocampus entstanden vor zirka 25 Millionen Jahren im Indopazifik aus den Seenadeln, ihren nächsten Verwandten. Während diese zumeist noch relative gut schwimmen können, haben Seepferdchen sowohl die Bauch- wie auch die Schwanzflossen verloren und stattdessen einen Greifschwanz ausgebildet, mit dem sie sich zum Beispiel an Seegras oder Korallen festhalten. Sie haben sich früh in zwei Hauptgruppen aufgeteilt. "Eine Gruppe ist mehr oder weniger vor Ort geblieben, während die andere die Welt erobert hat", meint Ralf Schneider, Koautor der im Fachjournal "Nature Communications" veröffentlichten Studie. In der Heimatregion im Indopazifik konnten sich die vor Ort gebliebenen Arten aufgrund einer speziellen Insellandschaft diversifizieren, während die anderen ihren Weg nach Afrika, Europa und Amerika nahmen und sich schließlich im Pazifik ausgebreiteten.

Die besonders große Datenmenge, welche für diese Studie gesammelt wurde, erlaubte es dem Forschungsteam, einen besonders zuverlässigen Seepferdchen-Stammbaum zu erstellen, wodurch die Verwandtschaftsverhältnisse ermittelt wurden und die Ausbreitungswege der Seepferdchen über die ganze Welt nachvollzogen werden konnten. "Vergleicht man die Verwandtschaftsverhältnisse mit den Meeresströmungen, erkennt man, dass Seepferdchen durch diese Strömungen quer durch die Weltmeere gespült wurden", sagt der Evolutionsbiologe Schneider.

An Flößen über die Ozeane

Werden sie zum Beispiel durch Stürme ins offene Meer getragen, halten sie sich mit ihrem Greifschwanz an allem fest, was sie finden können, wie zum Beispiel abgerissene Algen oder Baumstämme. Hier können die Tiere lange überleben. Die Strömungen tragen diese "Flöße" oft hunderte Kilometer über das Meer, bevor sie irgendwo angespült werden, die Seepferdchen absteigen und ein neues Zuhause gefunden haben.

Da es Seepferdchen bereits seit 25 Millionen Jahre gibt, war es wichtig, nicht nur die heutigen Strömungsverhältnisse und Meereskorridore zu berücksichtigen, da sich diese durch Verschiebungen der Erdplatten stetig verändern. So erstreckte sich vor etwa 15 Millionen Jahren das Tethys-Meer ungefähr auf der Fläche des heutigen Mittelmeers. Im Westen gab es an der Stelle der Straße von Gibraltar eine Verbindung in den Atlantik, im Osten gab es im heutigen Bereich der Arabischen Halbinsel einen Ausgang zum Indischen Ozean.

Im Unterschied zu den meisten anderen Fischen bewegen sich Seepferdchen vertikal fort.
Foto: Ralf Schneider

Gerade noch ins Tethys-Meer geschafft

Die Forscher konnten zum Beispiel untermauern, dass die Seepferdchen vom Arabischen Meer aus kommend die Tethys gerade noch kolonialisierten, bevor durch tektonische Veränderungen die Landplatten angehoben und dadurch das Meer im Osten verschlossen wurde. Mit der neuen Strömungsdynamik Richtung Atlantik gelangten die Seepferdchen über die westliche Öffnung nach Nordamerika. Ein paar Millionen Jahre später schloss sich auch die westliche Öffnung, und das gesamte Meer trocknete aus. Ralf Schneider: "Bisher war unklar, ob die Seepferdchen im Atlantik nicht alle von einer Stammeslinie abstammen, die vom Arabischen Meer aus nach Süden entlang der afrikanischen Ostküste und am Kap der Guten Hoffnung vorbei in den Südatlantik gewandert sind und auf der Höhe von Südamerika den Atlantik durchquerten. Wir haben herausgefunden, dass eine zweite Linie das auch gemacht hat, aber später."

Weil das Forschungsteam von jedem Habitat um die 20 Tierexemplare zur Verfügung hatte, konnte auch die genetische Variation zwischen den Individuen bestimmt werden. Und da gilt generell: Je höher die Variation, desto größer die Population. "An der Art der Variation lässt sich rekonstruieren, wie alt diese ist. Anhand dessen lässt sich dann zurückrechnen, wann die Population wie groß war", erklärt der Evolutionsbiologe. Gemäß dieser Modellierung war die Population, die über den Atlantik nach Nordamerika kam, sehr klein, was die These stützt, dass sie auf nur wenige Tiere zurückgeht, die sich an ihrem Floß festhaltend mit der Strömung dort ankamen. Mit denselben Daten konnte auch gezeigt werden, dass heute noch immer wieder Seepferdchen aus Afrika den Südatlantik durchqueren und ihr genetisches Material in Populationen Südamerikas einbringen.

Schnell verändert und anpassungsfähig

Seepferdchen wurden nicht nur von den Strömungen über alle Ozeane verbreitet, sie waren auch erstaunlich gut im Besiedeln neuer Lebensräume. Seepferdchen haben stark modifizierte Genome und haben während ihrer Evolution viele Gene verloren, neue Gene sind entstanden oder wurden aus Genduplikationen hinzugewonnen. Das bedeutet: Im Vergleich zu anderen Fischen veränderten sich Seepferdchen sehr schnell. Vermutlich sind deshalb in verschieden Arten "Stacheln" schnell und unabhängig voneinander evolviert, die in manchen Lebensräumen zur Abwehr von Fressfeinden dienen.

Tatsächlich wurden einige Gene identifiziert, die bei den Stachel-Arten besonders modifiziert sind, aber nicht bei allen Arten in gleicher Weise. Dass mehrfach schnell und unabhängig voneinander Stacheln selektiert wurden, obwohl die gleichen Genen bei der Entwicklung dieser Hautstacheln eine Rolle spielen, aber unterschiedliche Mutationen dafür verantwortlich waren, zeigt: Diese langsamen, sessilen, das heißt ortsgebundenen Seepferdchen können sich besonders schnell anpassen. Darin sehen die Wissenschafter einen der Hauptgründe, warum Seepferdchen so erfolgreich im Kolonisieren neuer Lebensräume waren. (red, 1.3.2021)