Objekt der Begierde: Für die erste Woche stehen 600.000 Schnelltests zur Verteilung parat.

Foto: Gerald John

Die Bürger von Enns sind Frühaufsteher. Schon zwanzig Minuten vor acht Uhr hat sich vor der Lauriacum-Apotheke in der oberösterreichischen Stadt am Montag eine lange Schlange gebildet. Als die Tür dann endlich aufgeht, stürmt die Masse mit gezückten E-Cards in Richtung Verkaufspult. Dort ist man gerüstet: "Wir rechnen mit einem enormen Ansturm und haben das Personal kurzfristig auf 15 Personen aufgestockt", erläutert eine Mitarbeiterin, als ein Kollege gerade einen Riesenkarton aus dem Lager in den Verkaufsraum balanciert.

Es ist eine Gratisaktion, die Kunden in ganz Österreich in die Apotheken lockt: Montagfrüh startete die von der Regierung initiierte Abgabe kostenloser Corona-Selbsttests. Bürger über 15 Jahren mit E-Card sollen prinzipiell fünf solcher "Nasenbohrertests" zustehen, doch für die erste Woche stehen erst einmal "nur" etwa drei Millionen Kits für 600.000 Personen zur Verfügung, macht 2.000 Tests pro Apotheke. Prompt machten Warnungen vor einem "Chaos" durch vergeblich anstürmende Kunden die Runde.

Bald vergriffen

Ist es dazu gekommen? Stichproben des STANDARD ergeben kein einheitliches Bild. So wie in Enns beobachtet, berichtet auch die Landschaftsapotheke in der obersteirischen Stadt Judenburg von einem großen Andrang. Bis zu zehn Kunden sei die Schlange lang gewesen, erzählt eine Mitarbeiterin am Montagvormittag: "Wir rechnen damit, dass unsere Tests bald vergriffen sind."

Ganz anders hingen die Erfahrung in der Billroth-Apotheke in Wien-Döbling. Von einem Ansturm könne keine Rede sein, erzählt ein Mitarbeiter, nach einer halben Stunde seien gerade einmal zehn Tests über den Ladentisch gegangen: "Die Leute schlafen noch."

Wie Weihnachten

Ein paar Kilometer weiter südwestlich ist die Nachfrage nach den formlosen weißen Kuverts, in denen die fünf Tests pro Person in Wien verpackt sind, offenbar reger. "Jö, so groß ist das. Das ist ja wie Weihnachten", sagt ein älterer Herr, der sich in der Sophienapotheke in der Marxergasse im dritten Wiener Gemeindebezirk versorgen lässt. "Sie bekommen fünf Tests pro Monat, die für Ihre Frau gebe ich Ihnen auch gleich mit", klärt ihn die Apothekerin auf.

Ja, der Andrang sei groß, erzählt sie. In der Früh seien die Leute Schlange gestanden, ein großer Teil der am Freitag gelieferten 2.000 Tests sei schon weg. Wann mit Nachschub zu rechnen sei, wisse sie nicht, so die Apothekerin, der die ganze Sache angesichts der fehlenden Informationen bereits sichtlich auf die Nerven geht: "Ich bin schon froh, wenn jemand reinkommt und nur ein Aspirin will."

Nicht für alle gratis

In Enns sorgt ein anderer Umstand für Ärger. Eine Dame outet sich als Versicherte bei der Krankenfürsorgeanstalt der Landesbediensteten und erntet prompt eine Absage: "Leider gibt es die Gratistests nur für Hauptverbandsmitglieder", entgegnet die Apothekerin höflich. Die Kundin nimmt das erst verdutzt hin, ehe ihr beim angebotenen Preis von neun Euro pro Packung ein wutentbranntes "So eine Frechheit" entfährt.

Die Apothekerin kann das durchaus nachvollziehen: "Es ist einfach vonseiten der Regierung viel zu wenig kommuniziert worden, dass nicht alle die Tests gratis bekommen. Und diese Ungleichheit löst dann einen Riesenärger bei mir im Geschäft aus."

Ausgeschlossene Gruppen

Gleich mehrere Gruppen seien von der Aktion "Gratisschnelltest für zu Hause" ausgeschlossen, kritisiert Gerald Loacker, Gesundheits- und Sozialsprecher der Neos. Das Problem betreffe nicht nur jene rund 300.000 Personen, die aus der elektronischen Gesundheitsakte (Elga) herausoptiert haben: Auch Versicherte bei den Krankenfürsorgeanstalten von Bund und Ländern (rund 200.000 Personen) sowie Freiberufler wie Rechtsanwälte und Notare, die von der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen sind, hätten keinen Anspruch auf Gratistests. "Das Gleiche gilt für Grenzgänger, die zum Beispiel in Deutschland, der Schweiz oder Liechtenstein arbeiten", sagt Loacker. "Das sind allein im Bundesland Vorarlberg 17.000 Personen."

Dabei würden diese Tests nicht von der Sozialversicherung bezahlt, sondern vom Bund aus Steuergeld, weshalb die Art der Versicherung beim Zugang keine Rolle spielen dürfte, argumentiert der Abgeordnete: "Die Bestimmung ist mit Sicherheit gleichheitswidrig." (jo, mro, rwh, mue, 1.3.2021)