Angeklagte A. und Verteidigerin Astrid Wagner (re.), die glaubt, dass ihre Mandantin "aus Liebe" tötete.

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Wien – Verteidigerin Astrid Wagner versucht in ihrem Eröffnungsplädoyer dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Georg Olschak die Beweggründe ihrer Mandantin Chandra A. klarzumachen. "Sie tötete aus Liebe, auch wenn es zynisch klingen mag", sagt Wagner, die auch betont, A. sei "keine Rabenmutter" gewesen. Daher sei es "erweiterter Selbstmord" gewesen, als die Unbescholtene am 17. Oktober in Wien-Donaustadt ihre drei Kinder mit einem Kissen erstickte und anschließend versuchte, sich selbst zu töten.

Einer Darstellung, der der psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann bei der Erstattung seines Gerichtsgutachtens widerspricht. "Erweiterter Suizid ist völlig falsch. Die anderen bringen sich ja nicht selber um. Es sind Tötungsdelikte mit anschließendem Selbstmord", stellt er klar.

Ehemann als eigentliches Ziel

Die 31-jährige Angeklagte, die stark sediert ist, nimmt das alles emotionslos zur Kenntnis. "Ich wollte gemeinsam mit den Kindern in den Himmel gehen", sagt sie auf die Frage des Vorsitzenden, warum sie die Taten begangen hat. An anderer Stelle erwähnt sie, dass sie eigentlich ihren Ehemann töten wollte. Doch: "Der ist weggelaufen."

A. wurde in Nepal geboren und studierte dort Mathematik, Chemie und Physik, als im Jahr 2009 für sie eine Ehe arrangiert wurde. Im Jahr darauf kam sie mit einem Studentenvisum nach Wien, wollte eigentlich weiterstudieren. Stattdessen heiratete sie und bekam zehn Monate später die erste Tochter. Eine weitere Tochter, drei Jahre alt, kam dazu, zuletzt kam im Februar 2020 ein Sohn zur Welt.

A. behauptet, es habe in der Ehe schon seit Jahren gekriselt, und es sei immer wieder zu Streitereien gekommen. Ihr Gatte sagt als Zeuge, dass die Beziehung gut gewesen sei, erst in den Monaten vor der Tat habe sich seine Frau verändert und sei immer aggressiver geworden.

Affäre mit Tante vermutet

Die Veränderung gibt die Angeklagte auch selbst zu. Sie verdächtigte ihren Mann, eine Affäre zu haben – mit ihrer Tante in Nepal. Außerdem vermutete sie, dass er ihr etwas ins Essen mische. Was, könne sie nicht sagen. Am 30. September kam es zu einem lautstarken Streit über die angebliche außereheliche Beziehung. Als die Polizei kam, wurde der Ehemann aus der Wohnung gewiesen und das Jugendamt verständigt.

Am 15. Oktober war das Betretungsverbot für den Mann abgelaufen, er kam zurück in die Wohnung seiner Frau. Doch schon am nächsten Tag gab es erneut einen Konflikt. Der Gatte wich diesem aus, indem er zu einem Freund fuhr, um dort zu übernachten. A. kochte den Kindern noch Abendessen, dann brachte sie alle ins Bett und schlief selbst ein.

In der Nacht habe der acht Monate alte Säugling geschrien, sie sei aufgestanden und habe ihm das Fläschchen gemacht, schildert die Angeklagte. Dann seien ihr Gedanken gekommen – dass ihr Mann sie verlassen und die Kinder mitnehmen werde. Und dass die neue Frau die Kinder schlecht behandeln werde. Und dass sie generell mit ihrem Leben nicht zufrieden sei und ihr Mann an allem schuld sei.

Neunjährige wehrte sich gegen Mutter

Sie nahm ein gelbes Kissen und erstickte die Kinder. Die älteste Tochter wehrte sich, laut dem medizinischen Sachverständigen muss es mindestens zehn Minuten gedauert haben, bis die Neunjährige nicht mehr lebte. Anschließend versuchte A. sich selbst auf mehrere Arten zu töten. Da sie scheiterte, alarmierte sie um 5.24 Uhr die Polizei, die die Toten fand.

Für Psychiater Hofmann ist zwar klar, dass A. an einer Depression litt, im strafrechtlichen Sinne sei sie aber zurechnungsfähig gewesen, ist er überzeugt. Sie wusste, dass es illegal ist, ihre Kinder zu töten, und ebenso konnte sie sich frei entscheiden. Die Staatsanwältin fasst das in ihren Schlussworten so zusammen: "Sie hat sehr wohl gewusst, was sie tat, und danach gehandelt."

Hofmann empfiehlt dennoch eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, und zwar wegen A.s Gefährlichkeit. Ihm gegenüber habe sie bei einem Gespräch nämlich erwähnt, sie wolle ihren Mann immer noch umbringen. Unbehandelt würde sie also weiter eine Gefahr darstellen.

Verteidigerin will Frage nach Zurechnungsunfähigkeit

Verteidigerin Wagner sieht das anders und möchte, dass die Berufsrichter den Geschworenen auch die Frage nach einer möglichen Zurechnungsunfähigkeit ihrer Mandantin stellen. Olschak, sein Beisitzer und seine Beisitzerin sehen keinen Grund dafür, da der Sachverständige die Zurechnungsfähigkeit für gegeben ansieht. Wagner empfiehlt den Geschworenen in ihrem Schlusswort daher, auf dieser Frage zu beharren.

Die Laienrichter machen das nicht und sprechen A. einstimmig des dreifachen Mordes für schuldig. Die Strafe lautet lebenslange Haft. "Es gibt zwar auch Milderungsgründe wie den untadeligen Lebenswandel und das reumütige Geständnis", erläutert der Vorsitzende. "Aber das wiegt nicht auf, dass drei Minderjährige tot sind. In diesem Fall kann es nur eine Strafe geben – die Höchststrafe." Die Verteidigerin meldet Nichtigkeit und Berufung an, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 1.3.2021)