Viel Frohsinn ist nicht zu erwarten, wenn der Triebwerks- und Rüstungskonzern Rolls-Royce (RR) in zehn Tagen sein Jahresergebnis verkündet. Tief steckt das Unternehmen mit Hauptsitz im mittelenglischen Derby in der Corona-Krise.

Die Pandemie brachte im vergangenen Jahr laut Vorstandschef Warren East die "dunkelste Stunde" der jüngeren Unternehmensgeschichte, eine Erholung sei erst im Lauf mehrerer Jahre zu erwarten. Im Dezember warnte RR die Börse, der Cash-Verlust im vergangenen Kalenderjahr werde wohl bei umgerechnet 4,86 Milliarden Euro liegen. Einen Monat später kündigte East an, 2021 werde einen erneuten Verlust von rund der Hälfte bringen.

Triebwerke verkaufen und sie langfristig warten, damit ist derzeit kein gutes Geschäft zu machen.
Foto: AFP/CHARLY TRIBALLEAU

Wenn im kommenden Jahr die Testphase abgeschlossen ist, werde man außerdem ein ehrgeiziges Forschungsprojekt auf Eis legen. Das "UltraFan"-Triebwerk sollte der Firma den Weg zurück in den Markt für Kurzstreckenjets ebnen, den RR vor einem Jahrzehnt zugunsten der damals lukrativeren Langstreckenflugzeuge aufgegeben hatte. Nun sieht es so aus, als seien die Entwicklungskosten von rund einer halben Milliarde Pfund (578 Millionen Euro) weitgehend umsonst gewesen.

Kahlschlag bei Jobs

Jeder sechste Arbeitsplatz wird verschwinden, insgesamt verlieren 9.000 Menschen ihre Arbeit, überwiegend im Unternehmensteil Zivile Luftfahrt. Die Tochter RRPS mit Sitz in Friedrichshafen büßte kürzlich zwar auch 950 Jobs ein, dies entstand aber durch den längst überfälligen Verkauf der defizitären Marinesparte im norwegischen Bergen.

Die Lage der Luftfahrtbranche ist generell katastrophal. Air France-KLM meldete Mitte Februar einen Rekordverlust von 7,1 Milliarden Euro. Vergangene Woche legte die IAG-Holding, Besitzer der Fluggesellschaften British Airways, Iberia und Aer Lingus, mit einem operativen Verlust von 7,4 Milliarden Euro nach. Der französisch-niederländische Konzern rechnet bis auf weiteres mit Flugbewegungen von 40 Prozent im Vergleich zu 2019, also vor der Corona-Pandemie; IAG ist mit 20 Prozent noch pessimistischer.

Dies spiegelt die Lage vieler großer Airlines wider – Gift für RR, dessen Geschäftsmodell auf langfristigen Wartungsverträgen für einmal gebaute, häufig mit Verlust verkaufte Triebwerke beruht. Wenn die Passagierjets aber am Boden verharren, gibt es nichts zu warten und nichts zu verdienen. Die Prognosen der beiden Airlines liegen deutlich unter der Erwartung, die RR Ende Jänner veröffentlichte. Damals war für das gesamte Jahr 2021 von 55 Prozent Flugbewegungen gegenüber 2019 die Rede.

Spekuliert wird auch, dass der Flugzeugbauer Airbus sich einen seiner wichtigsten Zulieferer einverleibt.
Foto: EPA/Wallace Woon

Vor zehn Tagen erinnerte ein Unglück die Öffentlichkeit zudem an die Verwundbarkeit der hochempfindlichen Turbinen. Über einem Vorort von Denver (USA) versagte eines von zwei Triebwerken einer Boeing 777, weil zwei der Ventilatorenblätter abgebrochen waren. Teile der Verkleidung regneten vom Himmel. Dass die beschädigte Turbine vom großen Konkurrenten Pratt & Whitney stammte, stimmte die Ingenieure bei RR auch nicht fröhlicher – nur allzu gut erinnert man sich in Derby an ähnliche Zwischenfälle mit der eigenen Baureihe Trent 1000, die das Unternehmen mehrere Milliarden kosteten.

Immerhin gab es zu Wochenbeginn auch einen Lichtblick zu vermelden. Da beförderte ein neu gebauter Elektromotor mit über 500 PS ein kleines Propellerflugzeug sicher über die Rollbahn; noch in diesem Frühjahr soll die "Spirit of Innovation" zum Erstflug abheben. Das britische Wirtschaftsministerium hat die Hälfte zu den Entwicklungskosten beigetragen.

Nationalisierungsfantasie

Muss die Tory-Regierung von Premier Boris Johnson womöglich sogar dem Industriegiganten selbst unter die Arme greifen? Mit dieser Spekulation wartete kürzlich die Sunday Times auf. Schon einmal durchlief Rolls-Royce eine Nationalisierung, nachdem sich 1971 eine neue Turbine als kompletter Flop herausgestellt hatte. Damals wurde der 1904 von Henry Royce und Charles Rolls gegründete Motorenbauer geteilt. Die Flugzeugsparte übernahm bis zur neuerlichen Privatisierung 1987 der Staat, der Automobilbauer kam schon 1973 in private Hand (er gehört seit 2000 zu BMW).

Steht dem längst global aufgestellten Konzern Rolls-Royce nun Ähnliches bevor wie vor 50 Jahren? Für "albern" hält der Londoner Analyst Howard Wheeldon solche Spekulationen. Als "erstaunlichen Unsinn" bezeichnet er auch die Idee, der Flugzeugbauer Airbus könnte sich einen seiner wichtigsten Zulieferer einverleiben.

Unter Analysten an der Londoner Börse gilt die RR-Aktie als Marmite-Papier, benannt nach dem Werbeslogan für den vegetarischen Brotaufstrich ("Love it or hate it"). Die Anhänger der Firma verweisen auf die RR-Expertise im lukrativen Turbinenbau und die Funktion als Leuchtturm in der verarbeitenden Industrie, die auf der Insel wenige Weltfirmen vorweisen kann. Skeptiker verweisen auf umfangreiche Schmiergeldzahlungen und daraus resultierende Aufträge, die um die Jahrhundertwende erheblich zur enormen Expansion des Unternehmens beigetragen haben. Zudem werden zukünftig Milliardeninvestitionen fällig, um die Produktlinien an die dringlicher werdenden Forderungen aus Politik und Gesellschaft hinsichtlich Klimaneutralität anzupassen.

Notierte die RR-Aktie vor Jahresfrist an der Londoner Börse noch bei 218 Pence, musste sie in der Pandemie heftig Federn lassen und stand im Oktober nur noch bei 39 Pence. Am Montagnachmittag kostete das Papier 110,65 Pence. (Sebastian Borger, 2.3.2021)