Wer in dem betroffenen Medienunternehmen arbeite, wisse, dass die Optik eine große Rolle spiele, sagte eine Moderatorin vor Gericht als Zeugin.

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Vor dem Wiener Arbeits- und Sozialgericht führt ein bekannter Wiener Medienmacher derzeit einen Prozess gegen seine Ex-Mitarbeiterin S. Er will erwirken, dass die Fernsehmoderatorin ihre Vorwürfe wegen sexueller Belästigung gegen ihn unterlässt. Wegen dieser Vorwürfe wurde S. als Fernsehmoderatorin entlassen, wogegen sie sich in einem anderen Verfahren gerichtlich wehrt. Während eines Fotoshootings im Jahr 2019 für die bevorstehende EU-Wahl soll S. von ihrem Chef begrapscht worden sein, so der Vorwurf. Zuvor soll der Medienmacher sie bei einem Abendessen zu zweit sexuell belästigt und bedrängt haben. Dieser bestreitet dies vehement, es gilt die Unschuldsvermutung.

Dass DER STANDARD beim Prozesstag im Februar 2020 auftauchte, sorgte im Verhandlungssaal für Wirbel. Der Anwalt des Medienmanagers beantragte den Ausschluss der Öffentlichkeit: Sein Mandant habe mit S. eine Verschwiegenheitsverpflichtung gegenüber Medien bis zum Abschluss des Verfahrens vereinbart. Ein solches Begehren wurde aber vom Richtersenat abgelehnt.

"Unnötiges Problem"

"S. zeigte einen Ehrgeiz, wie ich ihn selten wo erlebt habe", bezeugte eine ehemalige Vorgesetzte von S. bei einem weiteren Verhandlungstag am vergangenen Mittwoch. Als S. von ihrem damaligen Chef bei einem Fotoshooting begrapscht worden sein soll, sei sie zitternd in das Büro der Zeugin gekommen und habe ihr von dem mutmaßlichen Vorfall erzählt. Die Verantwortliche aber habe ihr nicht geglaubt und nur die anstehende EU-Wahl im Kopf gehabt. Als sie hörte, was passiert sein soll, habe sie das laut eigener Aussage als ein "wirklich unnötiges Problem" empfunden. Noch heute glaube sie nicht, dass derartige Übergriffe passiert sein sollen.

Sie habe der Betroffenen geraten, am nächsten Tag "weg von Emotionen" noch einmal zu sprechen. S. habe aber den Betriebsrat informieren wollen. Wenige Stunden später erfuhr auch der Medienmanager von den Vorwürfen gegen ihn. S. wurde daraufhin entlassen, wogegen sie sich gerichtlich wehrt.

Abendessen mit Chef

Laut S. habe sie ihr Ex-Chef vor dem Shooting zum Star machen wollen. Dass dabei ihr Aussehen eine zentrale Rolle spielte, soll er offen artikuliert haben: "Du siehst richtig geil aus", will sich S. in ihrer Einvernahme an den Wortlaut ihres Ex-Chefs während einer Arbeitsbesprechung erinnert haben.

Bei einem Abendessen in einem Wiener Nobelrestaurant und einem Mittagessen in der Nähe der Redaktion soll es einige Wochen vor dem Fotoshooting zu weiteren verbalen und körperlichen Belästigungen gekommen sein, behauptet die Moderatorin. Er soll ihr Aussehen anzüglich kommentiert und anschließend versucht haben, sich ihr zu nähern. Der Medienmacher selbst bestritt vor Gericht bislang jegliche Anschuldigungen. Diese seien "von A bis Z frei erfunden". Die Anbahnungsversuche seien von seiner Mitarbeiterin ausgegangen, die zitierten Aussagen seien nie gefallen. Er sieht einen "Racheakt" für eine abgelehnte Forderung nach Gehaltserhöhung.

"Poklapser" aus Spaß

Dass der betroffene Medienmacher als Chef emotional werden kann, wird vor Gericht nicht bestritten. Wo Arbeit aufhört und Übergriffe anfangen, ist jedoch Inhalt heftiger Debatten. Im Verfahren bezeugte eine andere Ex-Moderatorin, dass er auch ihr einmal auf den Po "geklapst" haben soll. Dies sei aber "spaßhalber" und ohne sexuelles Motiv geschehen, sagte sie. Den Vorfall beim Shooting habe sie nicht gesehen, wie keiner der Zeugen.

Für diese Zeugin schien der Vorfall nicht überraschend gewesen zu sein. Sie könnte laut eigenen Worten in der Branche nicht mehr arbeiten, wenn sie jeden Klaps auf den Po bewerten würde. Würde sie jede anzügliche Bemerkung ernst nehmen, könnte sie sich "in den Schlaf weinen", sagte sie vor Gericht. Wer in dem Unternehmen arbeite, wisse, was auf einen zukomme: "Die Optik hat eine große Rolle gespielt." Sie sei froh gewesen, selbst nicht angebaggert worden zu sein, sagte sie.

Mehrere Fälle

Mit diesen Vorwürfen noch einmal konfrontiert, ließ der Anwalt des Klägers wissen, dass allein im Gerichtsverfahren gegen S. mehrere Mitarbeiter das Gegenteil bezeugt hätten. Tatsächlich unterscheiden sich die Aussagen jener Zeugen, die noch im Unternehmen sind, von jenen, die sich mit ihrem (Ex-)Arbeitgeber verkracht haben. Während die einen von einem respektvollen Umgang in der Redaktion sprechen, schlagen die anderen vorwurfsvollere Töne an.

Auch ein Betriebsrat des Unternehmens will zahlreiche Beschwerden ähnlich jener von Moderatorin S. von Kolleginnen aufgenommen haben, sagte er vor Gericht. Die meisten davon seien nur kurz im Unternehmen geblieben und hätten den Betrieb rasch wieder verlassen. Der Betriebsrat führt derzeit selbst eine gerichtliche Auseinandersetzung mit seinem Arbeitgeber.

Aufgeheizter Prozess

Im Fall S. obliegt es nun dem Gericht, zu urteilen, ob ihre Entlassung gerechtfertigt und ihre Anschuldigungen wahr sind. Der Fall des Medienmanagers kostet die vorsitzende Richterin Andrea Mayrhofer jedenfalls einige Mühe. Die Stimmung im Saal ist aufgeheizt, Zeugen werden laufend unterbrochen.

Mayrhofer lässt in ihrer Verfahrensführung durchblicken, dass sie an den vorgebrachten Anschuldigungen zweifelt. Während der Aussage von S. beim Prozesstag im Februar des vergangenen Jahres brach die Betroffene in Tränen aus, die Richterin unterbrach und fragte: Warum sie nicht gekündigt habe, man wisse doch, wie es im Unternehmen zugehe. Als die Moderatorin auf ihren beruflichen Traum und die Möglichkeit verwies, auch ohne ihren Chef moderieren zu können, erwiderte die Richterin: "Ich glaube, Sie träumen von warmen Eislutschern." (Laurin Lorenz, 2.3.2021)