Wir müssen Maßnahmen setzen, um ihnen positive Aussichten und Zukunftschancen zu geben, sagt die Soziologin und WU-Professorin Ruth Simsa im Gastkommentar.

Ein Bild aus längst vergangenen Tagen. An eine Vorlesung in einem Hörsaal ist vorerst nicht zu denken.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Meine Studierenden leiden an der Corona-Krise. Sie erzählen von Antriebslosigkeit, Frustration bis hin zu starken Depressionen. Ein paar typische Aussagen: "Verzeihen Sie, dass ich noch nicht weiter bin mit der Bachelorarbeit. Mich hat jetzt auch das Phlegma erfasst, das alle rundum haben." "Vielleicht geht deswegen nichts bei der Masterarbeit weiter, weil ich gar nicht fertig werden will, unbewusst. Ich habe Angst vor der Leere danach, dass ich keinen Job finde." "Ich kämpfe seit Beginn des Semesters mit einer starken Depression … habe psychiatrische Hilfe benötigt und einen Aufenthalt im Krankenhaus hinter mir … Jetzt komme ich Schritt für Schritt wieder in den Alltag zurück." Es sind keine Einzelfälle, eine repräsentative Studie zeigt, dass derzeit die Hälfte aller 18- bis 24-Jährigen unter depressiven Symptomen leidet.

"Die Pandemie erwischt viele Studierende an einem Punkt biografischer Weichenstellungen."

Von der Politik und im öffentlichen Diskurs wird diese Gruppe vergessen, sie hat keine Lobby und verursacht auch wenig Probleme. Ihre Krise spielt sich im Verborgenen ab. Die Studierenden verursachen (noch?) keinen Gesundheitsaufwand wie Ältere, keinen Betreuungsaufwand wie Kinder, keine Kosten wie die krisenbedingt Kurzarbeitenden oder Arbeitslosen. Obwohl sie fit und kräftig wirken, sind sie vulnerabel. Sie sind eine übersehene Risikogruppe.

Die Pandemie erwischt viele an einem Punkt biografischer Weichenstellungen: Der Studienabschluss und die Jobsuche sind bei hoher Arbeitslosigkeit schwierig.

Studieren erfordert viel Selbstorganisation. Dies will gelernt sein und fällt leichter, wenn man nicht daheim isoliert ist, sondern in regelmäßigem Kontakt mit anderen. Im Studium werden neue Freundschaften geschlossen und die Identität geprägt – dies ist momentan nur schaumgebremst möglich.

Große Zukunftsängste

Die künftige Wirtschaftskrise trifft die Jungen, die noch nicht im Arbeitsprozess stehen, schwer – ihre Schäfchen sind noch nicht im Trockenen. Ihr Karrierestart steht hohen Hindernissen gegenüber. Viele leiden jetzt schon an finanziellen Problemen, ihre Jobs, zum Beispiel im Gastgewerbe, sind weggefallen. Dazu kommen Zukunftsängste.

Auch die Klimakrise betrifft junge Menschen besonders. Es besteht die Gefahr, dass Maßnahmen wegen Covid und Wirtschaftskrise verschoben oder geschwächt werden, nach dem Motto "Das können wir uns jetzt nicht leisten".

Wenn jetzt der Einwand kommt, dass Studierende nicht zu den Ärmsten gehören, sondern eher privilegiert sind: Lasst uns auch hier nicht triagieren! Es ist nicht notwendig, soziale Probleme gegeneinander auszuspielen und dann nur selektiv einer Gruppe zu helfen. Außerdem trifft es die sozial Benachteiligten unter den Studierenden vermutlich stärker.

Im Vergleich zu den hohen Ausgaben für andere Bereiche braucht es gar nicht so viel. Wichtig ist ein rascher und deutlicher Ausbau der psychologischen Betreuung junger Menschen – von Beratung über Therapieangebote bis zu Persönlichkeitsentwicklung.

Es braucht auch eine sensiblere Diskussion hinsichtlich der Impfstrategien. Grundrechte und Freizeitmöglichkeiten nur für Geimpfte (Ältere), während Junge weder Impfmöglichkeit noch individuelle Freiheit haben – das wäre unfair und unverantwortlich.

Wichtige Impulse

Die Schaffung von Zukunftschancen und positiven Aussichten durch Investitionen in kreative Projekte der Jungen kann auch für die Gesellschaft wichtige Impulse schaffen.

Warum nicht mehr aktive Arbeitsmarktpolitik auch für Junge? Etwa öffentliche Beschäftigung und gemeinnützige Jobs, mit denen zugleich gesellschaftliche Probleme gelöst werden, die Finanzierung von befristeten Studierendenjobs.

Warum nicht einen Notfallfonds für die zusätzliche, einfache Unterstützung von Start-ups? Besonders in der Frühphase von Projekten und Gründungen gibt es in Österreich ohnehin zu wenig Hilfe.

Warum nicht einen Sondertopf für Bildungsreisen, Zusatzausbildungen oder Austauschprogramme nach der Corona-Krise? Solche Programme richten sich sonst oft an Studierende, könnten jetzt aber auch für Absolventinnen und Absolventen oder überhaupt alle Jungen ohne Job geschaffen werden.

Warum nicht die sofortige Finanzierung eines Thinktanks aus Studierenden zur Entwicklung konkreter Maßnahmen?

Mehr Investitionen in neue Projekte zur ökologischen und sozialen Transformation statt kurzsichtiger Mehr-vom-Selben-Wirtschaftsförderung kann allen etwas bringen. Vor Covid haben Tausende bei Klimaprotesten skandiert: "Wir sind jung, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut." Jetzt schreien sie kaum mehr, auch aus Solidarität. Sie sind still geworden. Wir sollten gerade deswegen jetzt für ihre Zukunft investieren. (Ruth Simsa, 2.3.2021)