Viele Menschen mit Fluchterfahrung berichten von Diskriminierung im öffentlichen Raum.

Foto: Heribert Corn

Seit drei Jahren dokumentiert die NGO SOS Mitmensch rassistische Vorfälle und Kampagnen, die sich gegen Muslime und Musliminnen richten und die von Spitzenpolitikern angefacht oder gar initiiert wurden. Wurden für das Jahr 2019 noch 40 derartige Aussagen und Kampagnen zusammengetragen, weist der Bericht, der am Dienstag online präsentiert wurde, für 2020 mit 90 mehr als doppelt so viele Fälle auf. Sprecher Alexander Pollak führt das darauf zurück, dass die Corona-Pandemie von Teilen der Politik für Hetze missbraucht werde.

Die Organisation identifizierte mehrere derartige "Großkampagnen", die vergangenes Jahr initiiert wurden. Bei all diesen Kampagnen waren Politiker der FPÖ involviert. So sorgte die Tatsache, dass Muhammed bei Neugeborenen ein beliebter Vorname in Wien ist, bei der FPÖ für Besorgnis. Der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp bezeichnete das etwa als "bedenklich" und schrieb: "Wir brauchen keinen islamistischen Gottesstaat und wollen keine Stadt Muhammeds im Herzen Europas."

Sündenbock für unpopuläre Maßnahmen

Kinder mit diesem Namen seien "pauschal als Bedrohung" abgestempelt worden, sagt Pollak. Als weiteres Beispiel führt SOS Mitmensch die "in mehreren Wellen verbreitete Verschwörungsgeschichte" an, wonach die Bundesregierung Corona-Maßnahmen an den Ramadan-Fasttagen ausgerichtet habe. Muslime würden so als Sündenbock für unpopuläre Maßnahmen verwendet, sagt Pollak.

Bei der Pressekonferenz waren auch die Wiener Landesschülervertreterin Sihaam Abdillahi sowie der SPÖ-Bezirkspolitiker Muhammed Yüksek anwesend, die beide als Betroffene über ihre Erfahrungen berichteten. Abdillahi, Aktivistin bei der SPÖ-nahen Aktion kritischer Schüler_innen, wurde nach einem öffentlichen Auftritt von Ex-Gemeinderat Leo Kohlbauer (FPÖ) wegen ihres Kopftuchs in die ideologische Nähe der Muslimbruderschaft gerückt. "Das, was damals passiert ist, war der Versuch, mich zu diskreditieren und mir meine österreichische Identität abzusprechen", sagt Abdillahi. Yüksek kritisierte damals Nepps Aussagen in Bezug auf die Beliebtheit des Namens Muhammed und war daraufhin einem Shitstorm ausgesetzt. Mit Hetze werde ständig versucht, "politische Inhaltslosigkeit" zu verbergen, sagt Yüksek.

Maßnahmen gefordert

Die Sozialwissenschafterin Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien forscht zu den Themen Integration und Zugehörigkeit. Sie macht auf das gesellschaftliche Problem des "Otherings" aufmerksam, des "Fremdmachens" von Menschen, indem diese bewusst mit vielen negativen Eigenschaften besetzt werden. Im Rahmen einer noch unveröffentlichten Studie befragte Kohlenberger – noch vor Ausbruch der Pandemie – 500 syrische und afghanische Geflüchtete, die zwischen 2014 und 2016 nach Österreich gekommen waren, nach ihren Rassismuserfahrungen.

Auf die Frage "Wurden Sie seit Ihrer Ankunft in Österreich in der Öffentlichkeit von einem Fremden angeschrien, angespuckt oder mussten Sie physische Gewalt erdulden?" antwortete ein Fünftel aller Befragten, mindestens einmal dergleichen erlebt zu haben. Ein Viertel aller afghanischen Befragten berichtete von Diskriminierungserfahrungen im öffentlichen Raum. Viele glauben, dass das auch mit dem äußeren Erscheinungsbild oder dem Akzent zu tun hatte.

Kohlenberger erinnert an den im Regierungsprogramm vorgesehenen Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus, den es zu entwickeln gelte. Pollak fordert ebenfalls ein entsprechendes Expertengremium, das sich mit dem Thema auseinandersetzt. (van, 2.3.2021)