Es war eine einsame Modewoche. Statt Kofferpacken hieß es Videos sichten am Schreibtisch. Zum ersten Mal fand die Fashion Week in Mailand ausschließlich digital statt. Das bedeutete: Tausende Gäste verzichteten auf Flüge nach Mailand-Malpensa, Übernachtungen in überteuerten Hotels, auf das atemraubende Gehetze von Show zu Show. Es waren aber auch Tage ohne schnelle Espressi an den Café-Bars, ohne Bussi-Bussi, Insider-Gespräche und vor allem ohne die aufgekratzte Stimmung vor und nach den Shows: keine Schauspielerin, die im Blitzlichtgewitter badete, keine Designer, die sich auf dem Laufsteg den Applaus des Publikums abholten, keine Influencer, die sich vor den Kameras der Streetstyle-Fotografen auf die Zehen traten. Ob so eine Fashion Week am Bildschirm genügend Strahlkraft hat?

Immerhin – trotz Ausnahmezustands wurde für den Herbst 2021 an ein paar Ritualen festgehalten: Wie gewöhnlich folgte die Modewoche dem Schauenkalender (Versace, Bottega Veneta, Jil Sander und Gucci scherten aus), die Unternehmen kleideten wie eh und je die Influencerinnen ein (diesmal nur für Instagram) und verschickten kalligrafierte Einladungskarten auf Papier: Die Labels versuchten einiges, um den daheim gebliebenen Gästen ein Gefühl von Front Row zu verleihen – das kann auch durch einen Berg Post auf dem Schreibtisch vermittelt werden. Tatsächlich ging das Event aber ziemlich barrierefrei über die Bühne. Für die Videos auf den Websites, auf Youtube und Instagram brauchte es nicht einmal einen Zugangscode.

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Prada
Foto: Reuters/ Prada; Reuters/ Monica Feudi, Prada

Vor einem halben Jahr sah das Großunternehmen Modewoche noch anders aus. Damals konnte ein Teil der Gäste noch nach Mailand reisen, das Event ging kurzerhand "phygital" – als improvisierte Mischform aus physischen und digitalen Präsentationen – über die Bühne: Einige Marken luden zu Schauen in den Innenhöfen der Palazzi (mit Maske und Abstand), während Unternehmen wie Prada schon damals begannen, so etwas wie eine digitale Routine zu entwickeln.

Plauderstunde

Diesmal schickte die kreative Spitze um Raf Simons und Miuccia Prada eine optimistisch gestimmte Kollektion durch ein Labyrinth aus Yves-Klein-blauen, violetten und rosa Wänden: Lange Unterwäsche mit geometrischen Jacquard-Mustern, mit Pailletten und Kunstfell besetzte Stolen und Bomberjacken wurden über farbige Flokatiteppiche getragen – die Ehe des Belgiers und der Italienerin schien modisch endlich vollzogen.

Prada

Dem 13-minütigen Lauf folgte eine Diskussionsrunde mit prominenten Fans wie Marc Jacobs oder der Schauspielerin und LGBT-Aktivistin Hunter Schafer unter der Leitung von Derek Blasberg, dem New Yorker Modebeauftragten von Youtube. Die digitale Gesprächsrunde, natürlich keine Neuerfindung des Modehauses: Schon in den Nullerjahren wurden ähnliche Formate von der Londoner Plattform Showstudio realisiert. Prada startete das Plauderformat mit dem Engagement von Raf Simons, das mit dem Beginn der Pandemie einherging.

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Dolce & Gabbana
Foto: Reuters/ Dolce & Gabbana

Im Gegensatz zu Prada verfolgten Domenico Dolce und Stefano Gabbana bis zum vergangenen Herbst eine andere Strategie. Sie versuchten mit Laufstegspektakeln Optimismus zu verbreiten. 99 Looks hatte man den internationalen Gästen in der letzten Saison noch serviert. Diesmal setzte das Duo im Videoformat auf den Charme künstlicher Intelligenz, knackig aufbereitet für die Generation Tiktok: 135 Outfits in knapp neun Minuten.

Dolce & Gabbana
Dolce & Gabbana

Ein kleiner Roboter mit Glupschaugen eröffnete die Show im Metropol-Theater, die fluoreszierenden Muster, die XXL-Pullover, die Leopardenhosen, die folgten, hätten aus einem MTV-Videoclip der 1990er-Jahre stammen können.

Der Profi

So plakativ wie bei den Sizilianern ging es bei Giorgio Armani nicht zu. Der Designer war vor einem Jahr der Erste, der eine Show ohne Zuschauer abhielt. Was damals als "Geistershow" bezeichnet wurde, ist das neue Normal. Und genauso handhabte der 86-jährige Profi die Sache auch: Die Models liefen im Mailänder Teatro in Blau und Schwarz über den verspiegelten Laufsteg, als sei das nie anders gewesen.

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Giorgio Armani
Foto: Reuters/ Giorgio Armani

Bei Fendi hätte das römische Modehaus allen Grund zu Aufregung gehabt. Kim Jones, der neue britische Designer des Luxuskonzerns LVMH und Nachfolger von Karl Lagerfeld, zeigte seine erste Prêt-à-Porter-Kollektion für die Fendi-Frauen, derzeit arbeitet er sich bei Dior an den Männern ab.

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Fendi
Foto: Reuters Fendi, ALDOCASTOLDI

Jones ließ upgecycelten Pelz und bauchfreie Zweiteiler aus Strick durch F-förmige Raumteiler aus Glas marschieren. Der 47-Jährige verbeugte sich vor den unvergessenen Silhouetten seines bezopften Vorgängers, ohne die Kundin von heute zu vergessen.

Fendi
Fendi

Moschinos Filmreferenz

Die Unternehmen verfolgten hinsichtlich ihrer Präsentationen zwei unterschiedliche Strategien: Die meisten übertrugen den klassischen Laufsteg ins Videoformat (Max Mara, Etro), während andere das Potenzial origineller Modefilme entdeckten. Moschino-Designer Jeremy Scott war so einer.

Etro
ETRO

Zwölf Minuten und zehn Sekunden dauerte sein von George Cukors Hollywood-Klassiker "The Women" inspirierter Film für Moschino. Der Aufwand: Ungleich größer als der für eine normale Show, erklärte Scott der "New York Times". Mehr als dreißig Models (darunter Stella Maxwell, Dita Von Teese, Winnie Harlow, Amber Valetta – auf Diversität wurde Wert gelegt) drehten drei Tage lang in L.A. Wie in den 1950ern präsentierten sie Mode in Pappkulissen.

Moschino
Moschino

Das ermöglicht nicht nur einen genauen Blick auf die Kostüme, sondern sieht auch so originell wie ironisch aus. Zum Glück kann man den Streifen auf Youtube sehen. (Anne Feldkamp, 3.3.2021)