Ein Alligator-Schlüpfling ist gerade 20 Zentimeter lang und wiegt nur einige Gramm – ein gefundenes Fressen für viele Tiere. Das hält sie nicht von wagemutigen Aktionen ab.
Foto: Vetmeduni Vienna / Stephan Reber

Angehörige der Alligatoren-Familie sind einander in vielen Belangen sehr ähnlich. Ihre Jungen zeigen jedoch bemerkenswerte Verhaltensunterschiede, wie Forscher der Universität Wien gemeinsam mit britischen Forschern in Versuchen mit wenige Wochen alten Tieren herausfanden. Die Größe der Mütter dürfte dabei eine Schlüsselrolle spielen.

Die Krokodile oder Crocodylia stellen eine Ordnung der Landwirbeltiere dar, die sich in drei Familien gliedert, nämlich die Echten Krokodile, die Alligatoren, zu denen auch die Kaimane gehören, und die Gaviale, die nur zwei Arten umfassen.

Sie bewohnen tropische und subtropische Gewässer, wobei die Alligatoren vor allem in Süd- und Mittelamerika sowie im Südosten der USA vorkommen. Die nördlichste Verbreitung erreicht der unter anderem aus dem Everglades-Nationalpark in Florida bekannte Mississippi-Alligator. Aufgrund massiver Bejagung für die Lederproduktion brachen seine Bestände bereits um 1900 drastisch ein. Mittlerweile steht er unter strengem Schutz und gilt nicht mehr als gefährdet.

Neue Nachbarschaft

In den Lebensraum des Mississippi-Alligators dringt derzeit der Krokodil-Kaiman vor: Die Tiere kommen ursprünglich nur in Süd- und Mittelamerika vor, breiten sich aber seit einiger Zeit auch in Florida aus, wobei aus Gefangenschaft entkommene oder freigelassene Tiere die Basis darstellen dürften.

Die beiden Arten ähneln einander in Habitatansprüchen und Lebensweise weitgehend – mit einem wesentlichen Unterschied, nämlich der Größe: Während die Kaimane eine Länge von zwei Metern und ein Gewicht von 70 Kilo kaum überschreiten, werden männliche Alligatoren rund 3,5 Meter lang und bis zu 300 Kilo schwer.

Die Weibchen beider Arten legen ihre Eier in Nesthügel, für die sie totes Pflanzenmaterial zusammenschieben. Die Temperatur im Inneren dieser Hügel entscheidet über das Geschlecht der Jungen: Unter 32 Grad Celsius werden es vorwiegend Weibchen, darüber mehrheitlich Männchen.

Während der Entwicklung der Eier bewacht die Mutter das Nest, und nach circa zwei Monaten schlüpfen die vergleichsweise winzigen Jungtiere: Sie sind rund 20 Zentimeter lang und wiegen nur einige Gramm.

Versuchsarena für Krokos

Ihre Nahrungsansprüche sind gering: Sie verschlingen so gut wie alles, solange es sich um Fleisch handelt, laufen aber aufgrund ihrer Größe selbst ständig Gefahr, gefressen zu werden. Unter diesen Umständen sollten die jungen Alligatoren und Kaimane eigentlich versuchen, sich so vorsichtig und unauffällig wie möglich zu benehmen, aber das ist nicht immer der Fall.

Alligatoren-Drillinge warten auf den Einsatz in der Versuchsarena.
Foto: Vetmeduni Vienna / Stephan Reber

Stephan Reber vom Department für Kognitionsbiologie der Uni Wien, der derzeit an der Universität von Lund in Schweden arbeitet, und seine Kolleginnen u. a. von der Veterinärmedizinischen Universität Wien untersuchten mit britischen Forschern das kognitive Verhalten von jeweils elf Alligator- und Kaiman-Babys und stießen dabei auf bemerkenswerte Unterschiede.

Im englischen Zoo "Crocodiles of the World" konfrontierten die Forscher die Tiere, die zu dem Zeitpunkt vier Wochen alt waren, jeweils einzeln mit einem unbekannten Objekt – entweder einem blauen Plastikauto oder einem gelben Kreisel – und unbekannter Umgebung. Letztere erzeugte Reber, indem er die Wände einer Plastikbox, die als Versuchsarena diente, mit unterschiedlich gefärbtem und gemustertem Papier auskleidete.

Wagemutige Alligatoren

In der Folge wurden die Bewegungen, die die Tiere ausführten, und die Strecken, die sie zurücklegten, per Computer analysiert. Dabei zeigte sich, dass die Alligatoren sich mehr bewegten und einen größeren Teil der Arena untersuchten als die Kaimane. Auch bei der Begegnung mit dem unbekannten Objekt erwiesen sich die Alligatoren als wagemutiger, indem sie sich näher daran herantrauten.

Bei einer Wiederholung des Experiments eine Woche später traten die Unterschiede noch deutlicher hervor: Während neun der elf Alligatoren sich noch näher an das Auto oder an den Kreisel heranwagten, hielten sich neun von elf Kaimanen noch weiter davon weg. Ein besonders kühner Jung-Alligator sprang auf das Auto, und ein weiterer biss in den Kreisel.

Solches Verhalten legt nahe, dass Alligator-Junge mit der Neigung zur Welt kommen, ihre Umgebung beherzter zu erkunden als Kaimane, obwohl sie genauso klein und gefährdet sind wie diese. Wie aber kann sich ein solches Verhalten im Lauf der Evolution etablieren? Die Erklärung dürfte in der Wehrhaftigkeit der jeweiligen Eltern liegen.

Lehren für den Artenschutz

Bei beiden Arten bleiben die Jungen während des ersten Lebensjahres in der schützenden Nähe der Mutter, aber: "Adulte Alligatoren sind so groß, dass sie keine Feinde mehr haben", sagt Reber, "Kaimane hingegen werden sehr wohl noch gefressen: von Jaguaren, Anakondas oder auch Alligatoren, und vor denen kann eine Kaiman-Mutter ihren Nachwuchs nicht beschützen."

In der Folge können sich die kleinen Alligatoren mehr Explorationsverhalten leisten als ihre Verwandten. Andererseits dringen die Kaimane in Florida erfolgreich in Alligator-Gebiet ein. "Wir nehmen an, dass sie das genau deshalb können, weil sie vorsichtig sind und sich versteckt halten", meint Reber.

Die Erkenntnis, dass auch zwei so ähnliche Arten gravierende Verhaltensunterschiede aufweisen können, ist auch für den Artenschutz relevant, vor allem wenn die Wiederansiedlung von gefährdeten Krokodilarten geplant ist. "Wenn die Jungen zum Überleben ihre Mutter brauchen, darf man sie nicht zu früh aussetzen", gibt Reber zu bedenken, "sonst werden sie nur gefressen."

Auch seine ehemaligen Versuchstiere in "Crocodiles of the World" sehen derzeit einer ungewissen Zukunft entgegen: Der privat geführte Zoo, der auch eines der beiden Krokodil-Rettungszentren Europas ist, steht Corona-bedingt vor dem Aus. (Susanne Strnadl, 8.3.2021)