Kollektivverträge können die gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer regeln – ein ausgesprochen weites Feld. Trotzdem passiert es immer wieder, dass KVs Themen regeln, die sie gar nicht regeln können (zum Beispiel freie Dienstnehmer), dass ihre Regelungen gegen Gesetze verstoßen und daher nicht gelten, oder dass sie aufgrund ungeschickter Formulierungen zu falscher Anwendung verleiten.

Verlorene Ausbildungskosten

Der KV für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Universitäten regelt unter anderem den Ausbildungskostenrückersatz. Dieser gehört zu den vielen Themen, die ein KV wirksam regeln kann. Demnach kann die Universität – etwa bei einer Kündigung durch den Arbeitnehmer – den Rückersatz bestimmter von ihr finanzierter Ausbildungen verlangen. Der Betrag, den der Arbeitnehmer zurückzahlen muss, reduziert sich laut diesem KV jedes Monat um zwei Prozent ab Ausbildungsende. Darauf vertraute eine Universität, bis sie vor dem OGH kürzlich den Prozess gegen einen ehemaligen Mitarbeiter verlor (OGH 24.04.2020, 8 ObA 33/20s): Laut OGH erlaubt § 2d AVRAG nur die "Abschreibung" der Kosten über maximal vier Jahre (von Ausnahmen abgesehen), das sind 48 Monate oder 2,083 Prozent. Weil der KV diese Aliquotierungsregel verletzt, beurteilte der OGH die KV-Klausel als nichtig. Die betroffene Universität kann für die Ausbildungskosten null Euro Ersatz verlangen (dies, obwohl der Betragsunterschied marginal war).

In einem solchen Fall würde man meinen, dass sich der Arbeitgeber mit dem Text des KV entschuldigen kann. Dazu der OGH: "Ein allfälliger Irrtum des Arbeitgebers ändert nichts an der Gesetzwidrigkeit der vertraglichen Vereinbarung."

Vermeintliche Probezeit

Ähnlich erging es einem Arbeitgeber bei der Anwendung des KV für das Maler-, Lackierer- und Schilderherstellergewerbe (OGH 28.09.2020, 8 ObA 84/20s). Dieser enthält den kryptischen Satz "Eine Kündigungsfrist entfällt während der höchstens vierwöchigen Probezeit." Es liegt nicht ganz fern, diesen Satz dahingehend zu verstehen, dass der KV eine Probezeit für die ganze Branche festsetzt – was er grundsätzlich ebenfalls kann. Dementsprechend ging der Arbeitgeber davon aus, dass er das Arbeitsverhältnis wirksam während der Probezeit beenden kann (und der schon am 8. Tag nach Arbeitsantritt erkrankten Hilfsarbeiterin keine mehrwöchige Entgeltfortzahlung schuldet). Falsch gedacht: Laut OGH legt dieser KV keine Probezeit fest. Der Passus "eine Kündigungsfrist entfällt während der … Probezeit" gebe nur das Gesetz wieder. Der KV wolle nach seinem Wortlaut keine Probezeit anordnen, sondern nur die Maximaldauer (ein Monat) auf vier Wochen verkürzen. Um eine Probezeit einzuführen, hätte die Formulierung im KV laut OGH etwa lauten müssen: "Die ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses gelten als Probezeit."

Bessere Gehälter oder weniger Arbeitsstunden müssen ausverhandelt werden, wenn KVs für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mehr zufrieden stellend sind. Da kommt es auch oft zu Demos und Streiks, wie hier 2020 bei einem Warnstreik der Kollektivvertrags-Verhandlungen in der Sozialwirtschaft.
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Sehr unbefriedigend für in der Regel nicht rechtskundige Arbeitgeber – zumal derartige Missverständnisse sie davon abhalten, selbst zulässige Regeln im Arbeitsvertrag zu treffen, hier: die Vereinbarung einer Probezeit. Klare KV-Formulierungen könnten solche Missverständnisse ausschließen und unnötige Gerichtsverfahren verhindern. Hier hätte es schlicht heißen können (wenn schon der KV selbst keine Probezeit vorsehen will): "Eine Probezeit kann nur für die Höchstdauer von vier Wochen vereinbart werden."

Festlegung als Saisonbranche

Rechtsstreitigkeiten können sich auch daraus ergeben, dass zahlreiche Arbeiter-Kollektivverträge ihre Branche neuerdings zur "Saisonbranche" erklären – so etwa für Friedhofsgärtnereibetriebe, aber auch für das Güterbeförderungsgewerbe und private Autobusbetriebe. Nach Auskunft der WKO liegt dem eine genaue, bundesweite Prüfung zugrunde, nämlich der Arbeitnehmerzahlen und ihrer Schwankungen während eines repräsentativen Zeitraums.

Für Branchen, in denen Saisonbetriebe überwiegen, dürfen KVs von den ab Juli geltenden neuen Arbeiterkündigungsbestimmungen (Anpassung an das Angestelltenrecht) abweichen – zum Beispiel durch kürzere Kündigungsfristen und häufigere Kündigungstermine. Wie das Überwiegen zu rechnen ist, und was ein Saisonbetrieb genau ist, ist gesetzlich nicht eindeutig definiert. Laut parlamentarischem Protokoll waren damit witterungsabhängige Betriebe wie im Tourismus und Baugewerbe gemeint. Das Problem bei der Ernennung zur Saisonbranche durch KV: Sollte es sich entgegen der WKO-Untersuchung um keine Saisonbranche handeln oder sollte sich das in Zukunft ändern, werden Arbeitgeber zu kurzfristig kündigen und im Streitfall Kündigungsentschädigung nachzahlen müssen; nicht selten bis zum folgenden Quartalsende. Es lohnt sich, zur Vorsicht eine zusätzliche Klausel in den Arbeitsvertrag aufzunehmen, die für den Fall der Unwirksamkeit dieser KV-Bestimmungen wenigstens die Kündigung zum 15. und Monatsletzten sicherstellt.

Qualitätsanspruch

Kollektivverträge sind wertvolle Instrumente, um die gesetzlichen Vorgaben an die besonderen Umstände einer Branche anzupassen. Sie sollten aber so exakt und so rechtskonform formuliert sein, dass Anwendungsfehler ausgeschlossen sind. Sonst dürfen KV-Anwender nicht davon ausgehen, dass jede Regel so gilt, wie sie sie verstehen. (Kristina Silberbauer, 11.3.2021)