Viele Fortschritte, die in den vergangenen Jahren für Frauen und Mädchen erzielt wurden, drohen durch die Pandemie zunichtegemacht zu werden.

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Aktivistinnen in Israel machten am Sonntag auf die zunehmenden Frauenmorde im Land aufmerksam.

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Wirtschaft: Ökonomische Unsicherheit

Auch ohne Pandemie verdienen Frauen weniger als Männer, sind prekärer beschäftigt und leisten den Großteil der unbezahlten Care-Arbeit. Das Coronavirus hat diese Aspekte noch verschärft: Während der Pandemie haben vor allem Frauen ihre Jobs verloren, viele waren in Branchen tätig, die schließen mussten.

Blickt man über den österreichischen Tellerrand, ist die Situation noch dramatischer: Weltweit waren Frauen während der Pandemie 1,8-mal häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als Männer – und Instrumente wie Kurzarbeit oder Arbeitslosengeld sind Errungenschaften, die es in vielen Ländern des globalen Südens gar nicht gibt. Dort bedeutet die durch die Pandemie hervorgerufene ökonomische Unsicherheit das Risiko, in Armut oder in gefährliche Abhängigkeiten zu geraten: etwa durch Menschenhandel oder Zwangsehen. In Malawi stieg allein zwischen März und Mai des vergangenen Jahres die Zahl der Zwangs- und Kinderehen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 83 Prozent an. Die Uno rechnet mit 13 Millionen mehr Kinderehen in den kommenden zehn Jahren.

In Konfliktregionen wie Syrien oder dem Jemen sind viele Frauen die alleinigen Ernährerinnen ihrer Familien. In Syrien, wo viele Männer verletzt, geflohen oder gestorben sind, wird einem Report der Hilfsorganisation Care zufolge fast ein Viertel aller Haushalte inzwischen von einer Frau geführt – fast sechs Mal mehr als vor dem Konflikt. Die prekäre Situation dieser Frauen wird durch die Pandemie und die derzeit geringe Beachtung des Kriegs noch verschärft.


Bildung: Keine Schule, kein Schutz

Seit der Unterricht nicht mehr im Klassenzimmer, sondern in Chatrooms stattfindet, hat jedes siebente Mädchen weltweit keinen Zugang zu Bildung mehr. Laut Unicef sind rund 222 Millionen Mädchen rund um den Globus vom Unterricht ausgeschlossen – weil sie weder Internet noch Endgeräte wie Laptops oder Smartphones zur Verfügung haben. Sind Geräte vorhanden, tendieren Eltern mitunter dazu, sie eher ihren Söhnen als ihren Töchtern zur Verfügung zu stellen, wie eine Studie der Unicef ergab.

Schon vor Ausbruch der Pandemie gingen 130 Millionen Mädchen und junge Frauen weltweit nicht zur Schule. Für Millionen anderer Mädchen könnte Covid-19 nun das vorzeitige Ende ihrer Schulbildung bedeuten. Denn je länger Kinder dem Unterricht fernbleiben, desto höher ist das Risiko, dass sie nie wieder zurückkehren. Ein Klassenzimmer ist für viele Mädchen nicht nur ein Ort der Bildung, sondern auch ein Schutzraum: Zu Hause können sie dem Druck, arbeiten gehen oder heiraten zu müssen, nicht entkommen. Hilfsorganisationen beobachten höhere Raten von Schwangerschaften unter Minderjährigen, Zwangsehen sowie häuslicher und sexualisierter Gewalt aufgrund der Pandemie.

Selbst wenn die Voraussetzungen für Online-Unterricht gegeben sind, erfahren Mädchen zu Hause Mehrfachbelastungen, die ein ungestörtes Lernen verunmöglichen: Dazu zählen etwa die Betreuung jüngerer Geschwister oder älterer Verwandter, Mithilfe im Haushalt oder Arbeitstätigkeiten, um das Einkommen ihrer Familien aufzubessern.


Gewalt: Mit dem Täter im Lockdown

Häusliche Gewalt stieg im vergangenen Jahr – vor allem in Zeiten des Lockdowns – an. Laut UN Women sind die Meldungen und Anrufe bei Notrufnummern für häusliche Gewalt in Ländern wie Deutschland, Frankreich, Italien, Singapur und Peru während des Lockdowns deutlich gestiegen, Tunesien meldete sogar ein Wachstum um 400 Prozent. In Österreich handelte es sich laut den Erkenntnissen von September um einen Anstieg von 38 Prozent der Anrufe bei der Frauen-Helpline 0800 222 555. Frauenhäuser waren teilweise am Limit ihrer Aufnahmekapazitäten. Durch die Corona-Maßnahmen verbrachten Täter mehr Zeit zu Hause. Aufgrund der wirtschaftlichen Krise verloren auch viele ihre Jobs – sodass zur sozialen Isolation eine enorme finanzielle Unsicherheit hinzukam.

Unter dem Fokus auf Covid-19 leidet auch die Aufklärungsarbeit. In mehreren Ländern haben Polizei, öffentliche Stellen und Hilfsorganisationen ihre Ressourcen von der Bekämpfung häuslicher und sexualisierter Gewalt auf die Eindämmung der Pandemie verlagert. Viel Geld und Zeit fließen in die Linderung der Gesundheitskrise und der ökonomischen Unsicherheit, das Elend vieler Frauen in ihrem eigenen Zuhause wird weniger beachtet. Auch Bemühungen, die brutale Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) zu beenden, traten zuletzt in den Hintergrund. Lockdowns bieten zudem die Möglichkeit, Genitalverstümmelungen unbemerkt durchführen zu können. Diesbezüglich steigende Zahlen wurden der NGO Orchid Project zufolge bereits aus Ost- und Westafrika gemeldet. (Noura Maan, Ricarda Opis, 8.3.2021)