Vor seiner Pressekonferenz im Bundeskanzleramt nahm Finanzminister Gernot Blümel in Rathaus-Nähe zu Rot-Pink Stellung.

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Die Wiener Grünen treten nach dem Rückzug Birgit Hebeins als Team auf. Wer Parteichef wird, ist noch unklar.

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Seit 100 Tagen wird in Wien das Gegenmodell zum Bund gelebt. Statt Türkis und Grün sitzen Rot und Pink an den Schalthebeln. ÖVP, Grüne (und die FPÖ) sollen als Oppositionsparteien ihrer Kontrollfunktion nachkommen und SPÖ und Neos auf die Finger schauen. Vertauschte Rollen also, die vor allem Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) spielen muss.

Schon den Wien-Wahlkampf bestritt Blümel als Mitglied der Bundesregierung, auch nach der Wahl hat er die Rolle des Landesparteichefs nicht abgegeben. Als Finanzminister ist er derzeit vor allem damit befasst, Hilfspakete in der Corona-Krise zu schnüren. Auch die Vorwürfe in Sachen Parteifinanzen beschäftigen Blümel, für den die Unschuldsvermutung gilt.

"Gemeinsam durch schwierige Zeiten"

Nach 100 Tagen fand er dennoch Zeit, eine Bewertung über Rot-Pink in Wien abzugeben. In den ersten Wochen gewährt man neuen Regierungen meist eine Schonfrist und lässt ihnen Zeit, sich einzuarbeiten. In Zeiten der Corona-Krise galt es, schneller aktiv zu werden, was aber insofern nicht zu viel verlangt war, da die SPÖ, die bisher ja mit den Grünen koaliert hatte, ohnehin große Teile ihres Programmes fortsetzen konnte.

Blümel gab sich dennoch versöhnlich und verlautbarte, wie wichtig es sei, "gemeinsam durch die schwierigen Zeiten" zu kommen. Er zählte auf, welche Corona-Maßnahmen den Wienerinnen und Wiener zugutegekommen seien. Es seien 6,8 Milliarden Euro nach Wien geflossen, und 280.000 Menschen hätten vom Kurzarbeitsmodell profitiert.

Dass bezogen auf Rot-Pink alles eitel Wonne ist, findet die ÖVP aber nicht, weshalb sie der Stadtregierung 100 Ideen mit auf den Weg gibt. Sie fordert verpflichtende Deutschkurse, die im Wahlkampf bereits zentrales Thema der Türkisen waren.

Grüne auf neuen Pfaden

In ihrer Oppositionsrolle zurechtfinden müssen sich erst die Grünen. Sie konnten bei der Wien-Wahl zwar zulegen, die Partei schüttelte es aber gründlich durch, nachdem ihnen Ludwig die Neos als Koalitionspartner vorzog. Die damalige Parteichefin und Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) wurde weder zur neuen Klubobfrau gewählt noch zur nicht amtsführenden Stadträtin auserkoren. Sie legte ihr Mandat zurück, wenige Wochen später auch ihre Funktion als Parteichefin.

Die Grünen mussten sich Vorwürfe gefallen lassen, Hebein fallengelassen zu haben. Die Nachfolge ist weiterhin unklar. Momentan fungieren die nicht amtsführenden Stadträte Peter Kraus und Judith Pühringer als Doppelspitze. Inhaltlich dominierten die Grünen jahrelang die Verkehrs- und Klimapolitik. Nun gilt es, sich breiter aufzustellen und auch in anderen Bereich mit Expertise aufzufallen. Nach 100 Tagen in Opposition kritisieren die Grünen neben dem Klimaschutz am Dienstag die Neos: In der Bildungspolitik sei "nicht viel weitergegangen".

Bund versus Stadt

Noch sind die Grünen in Wien aber mehr leise als laut. Was aber auch daran liegen könnte, dass sie den Grünen im Bund nicht in die Quere kommen wollen. Dort ist die Partei stark unter Beschuss geraten – zum Beispiel wegen ihres Abstimmungsverhaltens bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria, wo sie aus Koalitionsräson nicht bei Oppositionsanträge mitgehen. In Wien ist die Positionierung der Grünen dagegen klar. Schon im Wahlkampf stimmten sie gemeinsam mit SPÖ und Neos für die Aufnahme von 100 Minderjährigen. (rwh, 3.3.2021)