"Es war weder Streit noch Honeymoon, für beides haben wir keine Zeit." So fasste Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) die ersten hundert Tage der Zusammenarbeit seiner Partei mit der SPÖ zusammen. "Es waren fordernde Tage und Wochen. Wir haben schon einiges abgearbeitet, aber es liegt noch einiges vor uns", sagte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Die beiden traten am Dienstag vor die Medien, um 100 Tage "Fortschrittskoalition" zu feiern – wie sie sich selbst nennen. Kritiker sehen das naturgegeben anders. Die Grünen sprachen von einer Stillstandskoalition, die FPÖ stellte ihnen ein "Armutszeugnis" vor allem für die SPÖ aus.

Nach etwas mehr als drei Monaten Zusammenarbeit mit den Neos zog Michael Ludwig (SPÖ) positive Bilanz.
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Ludwig und Wiederkehr kehrten die positiven Aspekte hervor, und sie machten kein Hehl daraus, dass die ersten Monate der rot-pinken Regierung im Zeichen der Bewältigung der Corona-Krise standen. Ludwig erwähnte die hohen Testkapazitäten, die in Wien geschaffen wurden, und zeigte sich mit der Impfstrategie der Stadt zufrieden. "Ich habe mir vorgenommen, um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen", sprach er die Unterstützungsprogramme im Bereich Wirtschaft an.

Sichere Schulen

Wiederkehr, der nicht nur Vizebürgermeister, sondern auch Bildungsstadtrat ist, hob das Corona-Management bei der Wiedereröffnung der Schulen hervor. Die Gurgeltests für Pädagoginnen und Pädagogen hätten dazu beigetragen, die Schulen zu einem sicheren Ort zu machen. Außerdem starte man diese Woche mit den Impfungen von Kindergarten- und Schulpersonal, um die Öffnung der Schulen weiterhin gewährleisten zu können.

Mit einer neuen Whistleblower-Plattform habe man die Grundlage geschaffen, effizienter gegen Korruption vorzugehen, so Wiederkehr.

Welche Projekte für Rot-Pink noch anstehen und wie die Umsetzung bisher gelungen ist, zeigt DER STANDARD in dieser Übersicht, aufgedröselt in vier Kapitel.

Laut Modal-Split-Erhebung lag 2020 der Anteil der Verkehrsnutzung zu neun Prozent beim Fahrrad.
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1. MOBILITÄT

Mehr oder weniger Autoverkehr zulassen? Fußgängern und Radfahrern zusätzlichen Raum geben? In den Ausbau der Öffis investieren? Orientiert man sich an den Klimazielen, ist es klar, wohin die Reise gehen müsste. Auch im Regierungsprogramm bekennt sich Rot-Pink zu den ambitionierten Zielvorgaben, die CO2-Emissionen des Verkehrssektors pro Kopf bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren und den Anteil der Pkw-Pendler, die nach Wien kommen, ebenfalls bis 2030 zu halbieren. Von einem "Spannungsfeld" sprach Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), in dem man sich hier befinde.

Umgestaltung Praterstraße

In Sachen Umsetzung muss man eine zwiespältige Bilanz ziehen. Für Aufregung sorgt die Neugestaltung der Praterstraße, die doch nicht so kommen soll, wie von den Grünen in der vergangenen Legislaturperiode angekündigt. Geplant war mehr Raum für Radfahrer, was auf Kosten einer Autospur gegangen wäre. Das hält die jetzige Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) nicht für umsetzbar, weil das Verkehrsaufkommen nicht mehr bewältigbar sei.

Die Grünen kritisieren zudem eine Ausdünnung der Öffi-Intervalle. Dem widersprach Ludwig: Die Errichtung des U-Bahn-Kreuzes U2 und U5 zeige, dass Wien in den Öffi-Ausbau investiere.

Kritiker auf den Plan ruft der Lobautunnel. Namhafte Wissenschafter forderten zuletzt einen Projektstopp, weil mehr Straßen auch mehr Verkehr erzeugten.

Neue Gemeindebauten werden nach und nach gebaut. Der Barbara-Prammer-Hof im zehnten Bezirk wurde 2019 eröffnet.
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2. WOHNEN

Der Wohnbau, ein rotes Kernthema, ist ein zähes Vehikel: Die Auswirkungen von Vorhaben, die auf Schiene gebracht werden, sind oft erst mit einigen Jahren Verspätung deutlich zu sehen. Beispiel Gemeindebauten: Ex-Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) entschied 2015, dass die Stadt wieder bauen soll. Seither wurden erst zwei Bauten mit 250 Einheiten fertig. Vier weitere sind in Bau, sechs Baustarts sind heuer geplant. 4.400 Wohnungen sollen es insgesamt bis 2033 sein. Weitere 1.500 Gemeindewohnungen sollen unter Rot-Pink "auf den Weg gebracht werden".

Neue Widmungskategorie

Gebaut wird jedenfalls wie verrückt: Im Vorjahr wurden 19.000 Wohnungen fertiggestellt, heuer dürften es zumindest 17.000 werden. Die Mehrheit entfällt auf den privaten Bereich: Gebaut werden vor allem freifinanzierte Mietwohnungen, die keinem Preisdeckel unterliegen. Im geförderten Wohnbau wurden seit 2015 zwischen 5.000 und 7.300 Einheiten pro Jahr errichtet. Dennoch wohnt laut Ludwig noch die Mehrheit der Wienerinnen und Wiener im geförderten Wohnbau. Dass es trotz Rückgängen dabei bleibt, dafür soll auch die noch unter Rot-Grün umgesetzte Widmungskategorie geförderter Wohnbau sorgen.

SPÖ und Neos planen mehr Photovoltaikanlagen auf Gemeindebauten. Wien stoppte den Verkauf von Kleingärten. Noch sind mehr als 13.000 im Besitz der Stadt.

Der Gastrogutschein wurde im vergangenen Jahr gut angenommen.
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3. WIRTSCHAFT

Man habe bereits vier Corona-Hilfspakete geschnürt, zusätzlich ein riesiges Konjunkturprogramm auf den Weg gebracht. In Sachen Wirtschaftsankurbelung sieht sich die Stadt Wien auf einem guten Weg.

Um die stark betroffenen Gastronomen zu fördern, entstand im Vorjahr die Idee des Gastrogutscheins, der gut angenommen wurde. 80 Prozent der 950.000 ausgegebenen Gutscheine im Wert von 30 Millionen Euro wurden eingelöst – was ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Arbeitsplätze in diesem Sektor war. Wie sich die Errichtung von öffentlichen Schanigärten bewähren wird, ist noch offen. Gastronomen befürchten, dass sie um staatliche Corona-Hilfen umfallen könnten.

Mit dem Reparaturbon ist ein zweiter Gutschein der Stadt Wien 2020 gut angenommen worden. Die Neuauflage startete am Montag. Mit dem Bon erhält man eine Förderung, wenn man kaputte Gegenstände zur Reparatur in ausgewiesene Betriebe bringt.

Städtische Beteiligungen

Zwiespältig fällt die Bilanz bei der Stolz auf Wien Beteiligungs GmbH aus. Die Opposition kritisiert, dass der Aufnahmeprozess wenig transparent ablaufe.

Tatsächlich lässt sich die Beteiligung an Traditionsbetrieben langsam an. Eine geplante Zusammenarbeit ist bereits auf Eis gelegt worden. Das Café Ritter wird doch nicht gefördert, nachdem bekannt wurde, dass es Insolvenz anmelden musste.

Wien will die Schulen weiter offen halten. Deshalb wird viel getestet, die Pädagoginnen und Pädagogen seit dieser Woche geimpft.
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4. BILDUNG

Die "Stadt des Wissens" wollte man in Wien bei der Präsentation des Regierungsprogramms unter anderem werden – erstmals mit einem pinken Bildungsstadtrat. Doch am Tag der Angelobung von Christoph Wiederkehr (Neos) in dieser Funktion waren die Schulen schon wieder im Distance-Learning. Eines der ersten Projekte für Schülerinnen und Schüler waren darum die Fliegenden Lerncafés zum Jahresende, um den Jugendlichen einen Ort zum Pauken und Abstand zur Familie zu bieten. An fünf Standorten wurden seither insgesamt rund 2.200 Buchungen vorgenommen. Weitere 590 wurden diesbezüglich an den Volkshochschulen getätigt.

Ein wichtiger Punkt im Bildungsprogramm ist zudem die kostenfreie Ganztagsschule. Sie startete als Wahlkampfzuckerl von Bürgermeister Ludwig (SPÖ) mit 70 Standorten im September. Pro Jahr sollen bis zu zehn weitere Standorte hinzukommen.

Mehr Psychologen

Das "Wiener Bildungsversprechen" soll die Situation an "Großstadtschulen mit besonderen Herausforderungen" – sprich Brennpunktschulen – verbessern, die Zahl der Schulpsychologen aufgestockt werden. Im Bereich der Kindergärten ist geplant, die Anzahl der Sprachförderkräfte von 300 auf 500 zu erhöhen. Zuletzt gab es wenig Bewegung: "Das kann man nicht von einem Tag auf den anderen machen", sagte Wiederkehr. Vor dem Sommer soll der Ausbau starten. (Oona Kroisleitner, David Krutzler, Rosa Winkler-Hermaden, 2.3.2021)