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Alexej Nawalny muss seine Haftstrafe in der "Besserungskolonie Nummer zwei" in Pokrow, 85 Kilometer östlich von Moskau, absitzen.

Foto: REUTERS/Tatyana Makeyeva

Nach tagelanger Ungewissheit ist es nun quasi offiziell: Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny wurde in das Untersuchungsgefängnis Nummer drei in der Kleinstadt Koltschugino, 130 Kilometer nordöstlich von Moskau, verbracht. Dort bleibt er zumindest so lange, bis das Urteil wegen Verleumdung gegen ihn in Kraft getreten ist.

Zuvor waren aus verschiedenen Quellen Gerüchte gestreut worden, dass der Kreml-Gegner Nummer eins in die "Besserungskolonie Nummer zwei" in Pokrow, 85 Kilometer östlich von Moskau, auf halber Strecke zur Gebietshauptstadt Wladimir, kommt. Das Gefängnis zählt offiziell nicht zu den Hochsicherheitsanlagen.

Die Kreml-nahe Boulevardzeitung "Komsomolskaja Prawda" vergleicht die Anlage gar mit einem Pensionat, schwärmt von einer orthodoxen Kirche und sogar einem Block für Familientreffen auf dem Gefängnisgelände, doch ehemalige Insassen berichten von bedrückenden Zuständen mit physischen und psychischen Misshandlungen.

Schlafentzug und Sprechverbot

Unter anderem saßen dort der frühere Neonazi Dmitri Djomuschkin, aber auch der Bürgerrechtler Konstantin Kotow. "Gebrochen" werden die Häftlinge im sogenannten Quarantäneblock unter anderem mit Schlafentzug und totalem Sprechverbot. E-Mails gibt es nicht, für das Briefeschreiben hat man unter Aufsicht pro Woche nur 15 bis 30 Minuten, womit die Isolation perfektioniert werden soll.

Das Zellendasein in Koltschugino ist laut Beschreibungen einfacher als in Pokrow. Auch Nawalny selbst erklärte, nachdem ihn seine Anwälte eine Woche nach seinem Verschwinden aufgestöbert hatten, dass es ihm gut gehe. In der Haftanstalt gebe es "sogar eine Turnstange". Ansonsten vertreibe er sich, da ihm andere Beschäftigungen untersagt sind, mit seinen zwei Zellengenossen mit Zwiebacktrocknen, Teetrinken und Fernsehgucken die Zeit.

Glück gehabt, könnte man angesichts der ihm drohenden Perspektiven sagen. Allerdings ist der Aufenthalt in einem Untersuchungsgefängnis befristet. Im Fall Nawalnys wahrscheinlich für ein paar Wochen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er anschließend doch noch nach Pokrow kommt, ist hoch. Beide Gefängnisse liegen in der gleichen Region. Zudem wurden die Gerüchte offenbar gezielt gestreut, um zu schauen, wie die Öffentlichkeit darauf reagiert. Der Aufschrei war begrenzt.

Isolieren statt Resozialisieren

Das russische Gefängnissystem unterscheidet sich allerdings insgesamt deutlich von europäischen Strafvollzugseinrichtungen. Grob gesagt: Im russischen Knast geht es nicht um Resozialisierung, sondern ums Wegsperren und Isolieren. Die Bedingungen sind hart, die Zellen oft überfüllt, der Tagesablauf monoton, die Wächter allmächtig.

Immer wieder tauchen Videos von Misshandlungen auf. Häftlinge werden geschlagen, mit kaltem Wasser übergossen, mit dem Kopf in einen Eimer oder die Toilette gedrückt, mit Elektroschocks gequält und sogar vergewaltigt. In anderen Fällen müssen sie stundenlang im Frost oder in unnatürlicher Position verharren. Selbst wenn Fälle publik werden, ist die Reaktion der Sicherheitsbehörden darauf eher lau. So erklärte die Gefängnisbehörde FSIN Mitte Februar das Video eines Gefangenen im sibirischen Tjumen, dem ein Sack und ein Plastikpaket über den Kopf gestülpt waren, mit einem "Scherz".

Kaum Freisprüche

Dabei kommen in Russland deutlich mehr Menschen mit dem Gefängnis in Berührung als anderswo in Europa. Das liegt einerseits an der schlechteren sozialen Lage der Menschen, andererseits an dem Hang russischer Gerichte zum Schuldspruch. Laut Statistik sprechen in 99,8 Prozent der Fälle in Russland die Richter – viele sind ehemalige Staatsanwälte – den Angeklagten für schuldig.

"Niemand ist vor dem Bettelsack und dem Gefängnis gefeit", lautet ein altes russisches Sprichwort. Bis heute hat es seine Aktualität nicht verloren. Rund eine halbe Million Russen sitzen derzeit hinter Gittern. Immerhin: Im Jahr 2000 waren es noch knapp doppelt so viele.

Aber auch so führt Russland die Gefangenenstatistik europaweit mit großem Abstand an und liegt auch beim Pro-Kopf-Vergleich nur knapp hinter Belarus (Weißrussland), aber beispielsweise beim dreieinhalbfachen Wert Österreichs. Im Westen weisen allenfalls die USA mit ihrem ebenfalls antiquierten Justizwesen absolut und pro Kopf höhere Gefangenenzahlen als Russland auf.

Berüchtigte Knäste

Als die härtesten Knäste in Russland überhaupt gelten "Weißer Schwan", "Schwarzer Adler", "Schwarzer Delphin", "Polareule" und das Zentralgefängnis Wladimir. Das Zentralgefängnis in Wladimir hat dabei die längste Geschichte, wurde schon unter Jekaterina der Großen 1783 gegründet und später von Michail Krug besungen, einem Vertreter des sogenannten "russischen Chansons", der vom Unterweltmilieu geprägt ist. Von den Bolschewiki zunächst als politisches Gefängnis genutzt, wurden später auch Schwerverbrecher hier eingeschlossen.

Ebenfalls berüchtigt war der Schwarze Adler, eine 2019 geschlossene Strafkolonie, 600 Kilometer nördlich der Uralhauptstadt Jekaterinburg. Seinen (inoffiziellen) Namen verdankte das 1935 gegründete Hochsicherheitsgefängnis IK-56 der Betonskulptur, die ein Gefängnisinsasse angefertigt hatte.

Das zahlenmäßig größte Hochsicherheitsgefängnis ist der Schwarze Delphin im Steppengebiet Orenburg. Bis zu 1.600 "Lebenslängliche" können hier untergebracht werden. Auch der Schwarze Delphin wurde schon im 18. Jahrhundert gegründet, die hierher Verbannten waren zunächst im Salzabbau beschäftigt. Heute verlassen die Schwerverbrecher ihre Zelle nur in Begleitung von mindestens drei Wachleuten und einem Hund mit verbundenen Augen. In der Zelle sind sie ständig videoüberwacht und müssen bei Licht schlafen.

"Diebe im Gesetz"

Der Weiße Schwan wiederum ist ein 1938 gegründetes Hochsicherheitsgefängnis in der ohnehin als Gulaghochburg geltenden Region Perm. Seinen Namen verdankt es einer Legende nach dem Gang der Häftlinge, die sich außerhalb der Zelle nur weit vorgebeugt und die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden und nach oben zeigend bewegen dürfen. Waren hier auch zunächst politische Häftlinge, diente der Weiße Schwan ab Mitte der 50er-Jahre vor allem als Gefängnis für kriminelle Autoritäten, die sogenannten "Diebe im Gesetz".

Das nördlichste Hochsicherheitsgefängnis Russlands ist die Polareule. Eröffnet wurde es 1961 beim Bau der Transpolareisenbahn. Inzwischen dient das Gefängnis im eiskalten Norden Russlands der Unterbringung besonders gefährlicher Wiederholungstäter. (André Ballin aus Moskau, 4.3.3021)