Bundeskanzler Kurz hat die Maskenproduktionsstätte der Hygiene Austria in Wiener Neudorf im Mai 2020 besucht.

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Es war ein Symbol dafür, was die heimische Wirtschaft in der Corona-Krise leisten kann: Statt bei der Maskenbeschaffung abhängig vom "Weltmarkt" zu sein, auf dem zu Beginn der Pandemie nahezu Wildwestmethoden herrschten, sollten Österreicherinnen und Österreicher bald auf Qualitätsware aus ihrem Heimatland setzen können. Das war das erklärte Ziel der Traditionsfirmen Lenzing und Palmers, die dafür schon im Frühling 2020 gemeinsam die Hygiene Austria LP gründeten.

In der Politik wurde der Schritt fast euphorisch gefeiert: Bundeskanzler Sebastian Kurz und die damalige Arbeitsministerin Christine Aschbacher besuchten die Produktionsstätte nahe Wien, auch die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (alle ÖVP) schaute vorbei. Aber auch abseits von PR-Terminen wurde das Unternehmen unterstützt: In Unterlagen des Krisenstabs im Innenressort (SKKM) ist zu lesen: "Beispiel für Unterstützung der Wirtschaft: 4 Maskenproduktionsmaschinen für Palmers".

Die niederösterreichische Landesregierung prahlte in einer Aussendung vom April 2020 damit, dass es gelungen sei, "die Produktion hochwertiger Schutzmasken im großen Stil nach Niederösterreich zu holen". Man unterstütze das Projekt, so Mikl-Leitner, "mit eigenen Mitarbeitern im Behördenverfahren und einem eigens dafür abgestellten Expertenteam zur Begleitung der Projektabwicklung".

Heftige Vorwürfe

Am Dienstagabend war Hygiene Austria plötzlich nicht mehr so wohlgelitten. Denn da durchsuchten seit Stunden Einheiten des Bundeskriminalamts, des Landeskriminalamts, der Finanzpolizei sowie der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) die Produktionsstätte in Wiener Neudorf und die Büros in Wien. Der Verdacht lautet auf organisierte Schwarzarbeit und Betrug, es gilt die Unschuldsvermutung.

Tino Wieser bekam unliebsamen Besuch.
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Ermittler vermuten, dass Hygiene Austria FFP2-Masken aus China importierte und dann mit der Hilfe von Schwarzarbeitern auf "Made in Austria" umetikettieren ließ. Gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal sagte ein Polizist, man sei bei der Razzia "in chinesischen Masken gewatet". Laut "Krone" habe ein ganz anderes Verfahren zu den Ermittlungen geführt: Komplizen eines Menschenhändlerrings hätten sich darüber unterhalten, Schwarzarbeiter zu Hygiene Austria zu schicken.

Der "Kurier" berichtete wiederum, dass 20 Millionen in China gefertigte Masken an Hygiene Austria geliefert werden sollten. Die Rechnung sollte aber, so der Wunsch, an eine Stiftung in Liechtenstein gehen. Der "Kurier" beruft sich dabei auf einen Vermittler. Das Unternehmen bestreitet die Vorwürfe am Mittwochabend in einer Aussendung scharf. Allerdings sei zum Ausgleich einer Nachfragespitze ein Lohnhersteller hinzugezogen worden.

Um den zwischenzeitlichen Nachfrageanstieg zu bewältigen, sei ein chinesischer Lohnfabrikant mit der Produktion von Masken nach dem Baumuster der Hygiene Austria beauftragt worden, hieß es in dem Statement. Die Zertifizierung sei durch die Schweizer Firma SGS einwandfrei sichergestellt. Die Gutachten für die Masken lägen vor und würden der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt werden. Die Masken in der Lohnproduktion seien im Einkauf um 60 bis 100 Prozent teurer gewesen als in der heimischen Produktionslinie.

Türkise Verbindungen

Der politische Sprengstoff in dem Ermittlungsverfahren liegt nicht nur in der öffentlichen und behördlichen Unterstützung von Hygiene Austria – sondern auch in privaten Verbindungen ins Kanzleramt. Der Geschäftsführer von Hygiene Austria, Tino Wieser, ist mit der Büroleiterin von Kurz verschwägert. Deren Ehemann, Luca Matteo Wieser, ist wiederum Geschäftsführer bei Palmers, also einem der Bündnispartner.

Deshalb gab es schon lange Gerüchte, dass Hygiene Austria bevorzugt behandelt werde. Als Indiz dafür zitierten etwa die Neos, dass die Firma, aus der Hygiene Austria hervorging, am 12. März 2020 gegründet worden war: Einen Tag vor der Verkündung der Corona-Maßnahmen wurde die "AE BG BetaEta Holding GmbH" von einer Rechtsanwaltskanzlei gegründet. In einer parlamentarischen Anfrage im August dementierte das Kanzleramt, besondere Verbindungen zu der Firma zu haben.

Geschäftsführer Tino Wieser beschwerte sich selbst über die Politik: Im August vergangenen Jahres kritisierte er öffentlichkeitswirksam, dass Hygiene Austria keinen einzigen öffentlichen Auftrag erhalten habe und offenbar stattdessen am chinesischen Markt eingekauft werde.

Masken im Parlament

Das blieb nicht so: Das Unternehmen gab zwar laut der Rechercheplattform "Zackzack" an, weder öffentliche Aufträge durchgeführt noch erhalten zu haben. Allerdings gibt es einen Großauftrag der Bundesbeschaffungsgesellschaft BBG an rund 50 Lieferanten von Schutzausrüstung im In- und Ausland, dar unter die Hygiene Austria. Dabei geht die BBG so vor, dass sie Vereinbarungen mit Lieferanten über mögliche Mengen und Kosten aufstellt.

Österreichisch oder chinesisch – das ist hier die Frage.
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Wenn dann etwa ein Ministerium oder öffentliches Spital Schutzausrüstung braucht, wird einer oder mehrere der Lieferanten unter Vertrag aktiviert. Die BBG gab am Mittwoch bekannt, den Vertrag mit Hygiene Austria zu pausieren. Somit sind dort bis auf Weiteres keine Bestellungen über die BBG möglich.

Bisher landeten Masken des Herstellers etwa im Parlament. Auch Landesspitäler wurden beliefert. Doch für wen und in welcher Stückzahl die BBG Masken gekauft hat, gab man bis dato nicht bekannt. Eine entsprechende Aufstellung wolle man bis Ende der Woche publikmachen. Erfolgt ist jedenfalls eine Ausschreibung im Volumen von 420 Millionen Euro, bei der es 50 Bieter gegeben hat.

Fest steht, dass auch die Österreichischen Bundesbahnen 576.000 FFP2-Masken wiederum über die BBG bezogen haben. Direkt hat die Wirtschaftskammer Niederösterreich 100.000 Masken bestellt, wie auf der Plattform OffeneVergaben.at festgehalten ist. Ob man mit der Firma mit Produktion im niederösterreichischen Wiener Neudorf wegen der Vorwürfe in Kontakt stehe, wollte man auf Anfrage nicht kommentieren.

Supermarktketten "mit Sorge"

Die betroffenen Masken wurden im großen Stil von den Handelsketten Rewe und Spar in Umlauf gebracht. "Wir haben die Berichte mit Sorge zur Kenntnis genommen, weil wir viele dieser Masken bewusst eingekauft haben", erklärte eine Spar-Sprecherin. Man habe dazu Gespräche "auf hoher Ebene" geführt. Die von Spar abgegebenen Masken seien sicher, betonte die Sprecherin. "Wir haben die 100-prozentige Rückverfolgbarkeit, dass die von uns gekauften Masken auf jeden Fall in Österreich am Standort in Wiener Neudorf hergestellt worden sind."

Auch der Rewe-Konzern (Billa, Merkur, Bipa, Penny) hat mehrere Millionen Masken von Hygiene Austria bezogen. "Wir prüfen das derzeit intern und sind in Kontakt mit Hygiene Austria", heißt es. Momentan seien die Masken weiter im Verkauf, man kontrolliere die Qualität ohnehin intern. Rewe hat zudem Masken des steirischen Produzenten Aventrium, aber auch aus China bezogen.

Polit-Attacken

Die politische Opposition schoss sich auf die ÖVP ein. FPÖ-Chef Norbert Hofer verwies auf ein Video, in dem sich Kanzler Kurz bei Hygiene Austria bedankt. Die Neos forderten einen "kleinen U-Ausschuss" zum Thema Corona-Vergaben. Die ÖVP warf der Opposition "Sippenhaftung" vor. Seitens der Hygiene Austria fand man es "bedauerlich", nun "in tagespolitische Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden". (Jan Michael Marchart, Andreas Schnauder, Fabian Schmid, Leopold Stefan, 3.3.2021)