Evelyn Regner sieht die Corona-Krise als eine Krise der Frauen und will ein strengeres Vorgehen der EU im Umgang mit Polen bewirken.

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Die SPÖ-Politikerin Evelyn Regner leitet den Ausschuss für Gleichstellung und Frauenrechte im Europäischen Parlament. Im Gespräch mit dem STANDARD erklärt sie, warum Frauen in der EU durch die Corona-Krise einen Backlash erleiden und es einen europaweiten Straftatbestand gegen geschlechterbasierte Gewalt braucht.

STANDARD: In Polen wurde jüngst das Recht auf Schwangerschaftsabbruch weiter eingeschränkt. Wie ist das mitten in der EU möglich?

Regner: Der polnische Verfassungsgerichtshof hat de facto ein komplettes Abtreibungsverbot beschlossen. Frauen dürfen die Schwangerschaft nicht einmal dann abbrechen, wenn das Kind nicht lebensfähig ist. Sie werden gezwungen, das Kind auszutragen. Das ist nicht nur Frauenhass, sondern eine Attacke auf die Gesundheit. Gleichzeitig werden Schwangerschaftsabbrüche dadurch nicht verschwinden. Die Frauen, die es sich leisten können, gehen ins europäische Ausland, die anderen werden in die Illegalität getrieben. Es ist also auch eine antisoziale Maßnahme.

STANDARD: Warum ist Polen ein Problemkind in Sachen Frauenrechte?

Regner: Das jüngste Urteil ist nichts anderes als ein Machtzeichen der herrschenden Männer gegenüber der Hälfte der Bevölkerung. Wir sagen immer: Wären es Männer, die schwanger würden, dann gäbe es die Abtreibungspille wahrscheinlich im Supermarkt. Das Traurige an Polen ist, dass das Land wieder zurück ins Mittelalter marschiert. Andere Länder haben auch ein restriktives Recht, arbeiten aber seit dem EU-Beitritt daran, das zu ändern. Ein positives Beispiel ist etwa Irland, dort findet auch ein gesellschaftlicher Diskurs statt. Die polnische Regierung macht genau das Gegenteil.

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STANDARD: Was kann die EU dagegen machen?

Regner: So wie das polnische Verfassungsgericht handelt und in der Art seiner Zusammensetzung ist es nicht legitim. Das jüngste Urteil widerspricht zudem einer ganzen Reihe an europäischen und internationalen völkerrechtlichen Abkommen, unter anderem der UN-Folter- und Kinderrechtskonvention. Insofern ist es nicht nur unser Recht, sondern unsere Pflicht als Europäisches Parlament, hier einzugreifen. Wir haben mehrere Resolutionen verabschiedet, es gab vergangene Woche ein Hearing, und nächste Woche wird ein Bericht veröffentlicht.

STANDARD: Wie wirksam sind Maßnahmen des EU-Parlaments?

Regner: Das Parlament war die treibende Kraft dahinter, dass die Einhaltung der Grundrechte eine Grundvoraussetzung im mehrjährigen Finanzrahmen der EU ist. Wer die Rechtsstaatlichkeit missachtet, hat kein Recht auf Geld aus den EU-Fördertöpfen. Das wirkt, denn Polen ist das Land, das die meisten Gelder bekommt. Wir haben als Europäisches Parlament außerdem das Artikel-7-Verfahren gegen Polen und Ungarn angestoßen. Damit wird der EU-Rat aufgefordert, die Rechtsstaatlichkeit dieser Länder zu prüfen. Die polnische Regierung agiert zwar provokativ, aber wenn wir dagegenhalten, nimmt sie immer einen Schritt zurück. Und die Maßnahmen, die wir als Parlament ergreifen, sind auch ein Zeichen an die EU-Kommission, die meines Erachtens hier viel zu sanft agiert.

STANDARD: Was sind derzeit die drängendsten Probleme für Frauen in Europa?

Regner: Die Corona-Krise ist eine Krise der Frauen. Denn sie verschärft Ungleichheiten wie ein Brennglas: Frauen tragen nach wie vor die Hauptlast im Haushalt, leiden häufig unter prekären Arbeitsverhältnissen, und der Lohnunterschied führt zu niedrigen Pensionen. Das zweite große Problem ist häusliche Gewalt. Die hat sich im ersten Lockdown deutlich erhöht, auch wenn es abhängig von der Zählweise ganz unterschiedliche Zahlen in den EU-Ländern gibt. In Portugal und Malta hat man etwa gesehen, dass die Anzeigen bei der Polizei zwar nicht gestiegen sind, dafür ist die Anzahl der Klicks bei den Websites von Hilfsangeboten explodiert.

STANDARD: Wie kann die EU den Gewaltschutz forcieren?

Regner: Wir wollen endlich die Istanbul-Konvention umsetzen. Das ist ein Abkommen des Europarats, das festhält, dass Gewalt gegen Frauen ein No-Go ist. Mir ist völlig unverständlich, warum gewisse Staaten das nicht ratifizieren. Wenn das so bleibt, wollen wir die Inhalte herauslösen: Dass jeder Staat dazu verpflichtet ist, Gewalttaten zu bestrafen und Prävention zu betreiben. Darüber hinaus wollen wir einen eigenen europaweiten Straftatbestand gegen geschlechterbasierte Gewalt verankern. Dann trägt nämlich der Staat Verantwortung, und es ist nicht mehr nur Privatsache. Generell sind Gewalttaten aber nur die Spitze des Eisbergs. Zur Bekämpfung der strukturellen Gewalt gegen Frauen ist finanzielle Unabhängigkeit ein gutes Mittel. Einer Frau, die selber Geld verdient, fällt es leichter, zu gehen oder ein Wegweisungsrecht in Anspruch zu nehmen.

STANDARD: Oft hilft auch der Weg zur Polizei nicht mehr. Erst vergangene Woche hat ein Mann in Wien seine Partnerin, wenige Stunden nachdem sie ihn angezeigt hat, getötet. Wo muss man ansetzen, um so etwas zu verhindern?

Regner: Es braucht ein vielschichtiges Hilfsnetzwerk aus Notrufnummern und Anlaufstellen, damit Frauen Zuflucht finden. Aber auch Prävention ist eine staatliche Aufgabe, samt Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen über Stereotype. Und das Bewusstsein dafür hat natürlich etwas mit Erziehung zu tun. Wenn man früh genug ansetzt, kippt irgendwann auch die Grundlage für dieses Weltbild – nämlich, dass Männer über Frauen herrschen.

STANDARD: Wie schätzen Sie die Lage der Frauenrechte in Europa insgesamt ein? Geht es in die richtige Richtung?

Regner: Es geht in beide Richtungen. Auf der einen Seite passiert ein ganz gewaltiger Backlash, und auf der anderen Seite sind wir moderner denn je. Nicht nur die Mädchen, sondern auch die jungen Burschen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Bevölkerung schon viel weiter ist als die Organisationen und Parteien, die glauben, dass sie die Bevölkerung repräsentieren. Ein wenig so wie in Irland vor der Aufhebung des Abtreibungsverbots. Insofern sehe ich beides: das Unbehagen derer, die Angst vor Veränderung haben und davor, die Macht abzugeben. Da ist das polnische oder auch ungarische Beispiel besonders offensichtlich. Und dann all die anderen, die den Weg schon weitergegangen sind. (Davina Brunnbauer, 4.3.2021)