Der flämische Regisseur Luk Perceval inszeniert für das Landestheater Niederösterreich.

Michiel Devijver

Während des Zweiten Weltkriegs haben Flamen in Belgien hoffnungsfroh mit den deutschen Besatzern kollaboriert. Bis heute wirkt diese schuldbehaftete Vergangenheit in den belgischen Familien nach. Regisseur Luk Perceval, selbst Flame, hat darüber ein Stück kreiert, das am 11. März am Nationaltheater Gent seine Uraufführung via Stream feiert. Yellow ist Teil zwei der Trilogie The Sorrows of Belgium, die vom Landestheater Niederösterreich mitproduziert wird. Ensemblemitglied Philip Leonhard Kelz etwa spielt in Yellow den österreichischen Nazi Otto Skorzeny.

STANDARD: Inwiefern wirkt die Kollaboration mit den Nazis heute in Belgien noch nach?

Perceval: Sowohl die Kollaboration als auch der Widerstand damals sind heute als Thema sehr präsent. Man muss wissen, dass die deutschen Okkupanten auf ein gespaltenes Land trafen, in dem aufgrund des flämisch-wallonischen Konflikts schon ein Krieg herrschte. Das waren blutige Ereignisse, die in den Familien bis heute spürbar sind. Wer im Weltkrieg deutsche Soldaten beherbergte oder Frauen, die mit ihnen Beziehungen unterhielten, wurden nach dem Krieg hart bestraft und öffentlich gedemütigt. Man hat sie im Tiergarten hinter Gittern zusammengetrieben.

STANDARD: Was genau ist der Konflikt?

Perceval: Er reicht weit zurück. Die Flamen waren Bauernkinder, viele konnten weder lesen noch schreiben und dienten der französischsprachigen Elite als Kanonenfutter. Das fing schon bei Napoleon an, eskalierte im Ersten Weltkrieg, als die belgischen Soldaten in den Schützengräben die französischsprachigen Befehlshaber nicht verstanden und oft deshalb starben. Im Zweiten Weltkrieg erhofften sie sich als germanische Minderheit Unterstützung von den Deutschen. Ein großer historischer Irrtum! Die Nazis sagten, sie würden eine flämische Universität in Gent gründen et cetera. Die Flamen endeten aber wieder im Krieg, und da gibt es keine Gewinner.

STANDARD: Wie sind Sie persönlich davon betroffen?

Perceval: Meine heute 88-jährige Mutter wurde als Kind bestraft, wenn sie Flämisch sprach. Und ich wurde als Sechsjähriger in eine französischsprachige Schule geschickt, um überlebensfit gemacht zu werden. Ich verstand aber kein Wort! Wie sollte ich das als meine Heimat empfinden? Noch dazu war es ein Internat – meine Eltern waren Skipper und immer unterwegs.

STANDARD: Wie äußert sich heute die Nähe zum Faschismus in Belgien?

Perceval: Erst im Vorjahr musste eine Studentenverbindung in Gent verboten werden, weil sie mit der faschistischen Ideologie kokettierte. Sie denken nationalistisch und bemühen das Narrativ der flämischen Opferrolle.

STANDARD: Wie wurde Ihr Stück entwickelt?

Perceval: Im Zentrum steht eine flämische Familie, die ihren Sohn stolz in den Kampf schickt. Wir haben das Stück anhand von historischen Dokumenten und Materialien aus der geisteswissenschaftlichen Fakultät Gent gemeinsam im Team entwickelt, Figuren und Situationen erfunden.

STANDARD: Auch der österreichische Nazi Otto Skorzeny kommt vor. Wie sind Sie auf ihn gekommen?

Perceval: Der neue Rechtsradikalismus ist ein europaweites Problem, und wir wollten von Anfang an eine geweitete Perspektive. Auf Anregung Marie Rötzers vom Landestheater Niederösterreich, mit dem wir Yellow koproduzieren, entschieden wir uns für Skorzeny, der ja eine rechte Hand Hitlers war und an der Ardennenoffensive beteiligt war. Ich denke, Österreich und Belgien haben in puncto Vergangenheitsbewältigung ähnliche Probleme. Als ich vor zwölf Jahren einen Film über Linz gedreht habe (Die verborgene Stadt, Anm.), da meinte der Mann, der mir den Schlüssel zum KZ-Stollen aushändigte: "Aber sag niemandem, dass du den Schlüssel von mir hast". Mir scheint, die Nazivergangenheit wird auch in Österreich von vielen immer noch verdeckt. Auch wollte niemand aus der Voest, vormals Hermann-Göring-Werke, mit mir sprechen.

STANDARD: Ihre Inszenierung hätte bereits im April des Vorjahres Uraufführung gehabt. Nun wird sie abefilmt im Stream gezeigt, in der Regie von Daniel Demoustier. Ist das dann noch Ihre Arbeit?

Perceval: Das stimmt nicht ganz. Daniel macht die Kamera, ich bin auch der Filmregisseur und bin es sowieso gewöhnt, die Schauspieler filmisch zu begleiten. Das ist meine Art zu proben.

STANDARD: Das NT Gent, an dem Sie die Inszenierung erarbeitet haben, ist für sein Manifest bekannt, das zehn Regeln vorgibt, zum Beispiel muss mindestens ein Viertel der Probenzeit außerhalb des Theaterraums verbracht oder die Aufführung an zehn verschiedenen Orten gezeigt werden. Das geht jetzt ja nicht.

Perceval: Nein. Aber das Manifest ist auch eher nur als Provokation gedacht.

STANDARD: Die Niederlande haben kürzlich einen Versuch gestartet, wie man Indoor-Veranstaltungen wieder abhalten kann, mit Bewegungssensor et cetera. Was halten Sie davon?

Perceval: Ach, das ist doch alles absurd. In den Einkaufsmeilen hier drängen sich die Leute, und im Theater soll gar nichts möglich sein? In zwei Wochen beginne ich Proben in Warschau. Dort sind die Theater wieder offen. Die Menschen wollen einfach nicht mehr. (Margarete Affenzeller, 4.3.2021)