Xi Jinping applaudiert sich selbst. Auch die Erfolge der KP werden beim Parteitag nicht zu kurz kommen.

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Zwei Großereignisse hängen sich jedes Jahr im Frühjahr in China aneinander. Da ist zum einen das Neujahrsfest, wo hunderte Millionen Menschen ihre Familien besuchen. Ist die Reisewoche um, steht der Nationale Volkskongress vor der Tür. Am 4. März beginnen die "Plenarsitzung des Nationalen Volkskongresses" (NVK) und die "Politische Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes", kurz "die zwei Sitzungen". Rund 5.000 Delegierte machen sich dafür auf den Weg nach Peking, um über die Zukunft des Landes zu sprechen – beziehungsweise das abzusegnen, was das 25-köpfige Politbüro sich ausgedacht hat. Zudem soll der 14. Fünfjahresplan verabschiedet werden.

Dieses Jahr kommt nun auch noch ein wichtiges Jubiläum hinzu: der 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei. Es muss also einiges zu feiern geben. So einfach ist das gar nicht, denn tatsächlich steht das Land vor so vielen Problemen wie seit 20 Jahren nicht mehr.

Spin ist schwer

Zum einen ist da das Verhältnis zum wichtigsten Handelspartner, den USA. Es ist angespannt, und immer deutlicher zeigt sich, dass das auch unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden nicht einfach anders wird. Chinas Image im Ausland ist so schlecht wie seit langem nicht mehr. Daran scheinen die Medienkampagnen auf Twitter wenig zu ändern: Die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und der Bruch internationaler Verträge durch die Beendigung der Autonomie Hongkongs haben dem Image geschadet.

Auch der Versuch, das Narrativ zu etablieren, wonach China das erste Opfer eines von außen gekommenen Corona-Virus sei und die Krise vorbildlich meistere, greift außerhalb des Landes nicht so recht. Tatsache ist auch, dass Xi Jinping das Land so autoritär regiert wie nach Mao Tse-tung kein anderer chinesischer Staatsführer. Xi hat seine Amtszeitbeschränkung abgeschafft, den politischen Apparat "gesäubert" und auf sich ausgerichtet.

Kein armes Land mehr

Was also gibt es zu feiern? Zumindest auf eines dürfte sich das chinesische Volk mit seiner Führung einigen können: China ist kein armes Land mehr. Als die Partei 1921 in Schanghai mit sowjetischer Hilfe gegründet wurde, herrschte größte Not. Rund zwei Millionen Menschen starben bis 1930 alleine in Nordchina an Hunger. Wer drastischere Schilderungen lesen möchte, dem seien die Berichte des späteren Mao-Biografen Edgar Snow empfohlen, in denen es um Kannibalismus und den Verkauf von Kindern geht. Heute leben in China 1,3 Milliarden Menschen, von denen offiziell seit 2020 keiner mehr als arm gilt.

Die Messlatte ist etwas umstritten. Klar aber ist: Der Wohlstand ist seit 1979, und nochmals schneller nach 2001, als die Volksrepublik der Welthandelsorganisation WTO beitrat, rapide gewachsen. Anders als in kleptokratischen Diktaturen kommt der neue Reichtum auch in der Mitte des Volkes an. Wer heute durch Schanghai, Peking oder Shenzhen spaziert, der stellt fest, dass die Neuwagendichte weitaus höher ist als in Wien. Slums, Wellblechhütten, auch Bettelnde sucht man in der schönen neuen Welt vergebens. In den Restaurants sitzt eine sichtlich gestresste, aber doch optimistische Generation vor ihren Smartphones, die, wäre nicht gerade Pandemie, ihren Europa-Urlaub planen würde. Es sind die Kinder und Enkel derjenigen, die noch Hunger erlebt haben. Treibstoff, den der Motor der Partei braucht.

"Andere" Menschenrechte

Die KP und ihre Presseorgane werden daher nicht müde, diese Leistung zu feiern. Vergangene Woche sprach Xi Jinping von einem "Wunder historischen Ausmaßes". Zudem hätte Peking gerne, dass diese Errungenschaft auch Eingang in den Katalog der Menschenrechte fände. Schon lange versucht die KP deren Universalität zu untergraben. Demnach könnte es bald eine westliche und eine chinesische Version dieser unveräußerlichen Geburtsrechte geben. Oder die Erfolge in der Armutsbekämpfung könnten einfach die Konzentrationslager in Xinjiang, die Missachtung von Presse- und Meinungsfreiheit und die Inhaftierung von Andersdenkenden aushebeln.

Man kann sich einmal gedanklich auf diese Planspiele einlassen und der Kommunistischen Partei zum 100. Geburtstag zu ihren Erfolgen gratulieren. Nur sollte man dann auch andere Fakten in Rechnung stellen: Die schlimmsten Hungersnöte fanden unter der Herrschaft der Kommunisten statt. Die Fehlallokationen und Planspiele der Partei kosteten im 20. Jahrhundert bis zu 100 Millionen Menschen das Leben. Der Wohlstand kam erst nach China, als das Land sich 1979 öffnete und liberalisierte. Insofern sollte man präzisieren: Nicht die Partei hat 850 Millionen Menschen aus der Armut befreit, sondern 850 Millionen Chinesen haben sich daraus befreit. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 4.3.2021)