Der Kurzfilm "Alone" von Garrett Bradley erzählt von der Masseninhaftierung von Schwarzen aus der Sicht einer Frau, deren Mann im Gefängnis sitzt.
Foto: Garrett Bradley

"Es gibt Kunstwerke, die nicht unbedingt laut sind: Sie können flüstern und haben immer noch enorme Stärke", ist eines der bekanntesten Zitate des nigerianischen Kurators Okwui Enwezor. Ungemein passend trifft es auf jene Werke zu, die jetzt im New Museum in New York versammelt wurden – um gemeinsam zu trauern. Die Ausstellung Grief and Grievance: Art and Mourning in America begann der Ausstellungsmacher bereits 2018 zu konzipieren – bis zu seinem Tod, mit nur 55 Jahren erlag Enwezor 2019 einem Krebsleiden.

Die große Schau im New Museum, die von einem kuratorischen Team finalisiert und nun mit Verzögerung eröffnet wurde, gilt als Gipfel seines Schaffens – es ist das Lebenswerk des erfolgreichen Kurators, der die Documenta 11 und 2015 die Venedig-Biennale künstlerisch geleitet hatte. Obwohl er Kategorien wie "politische Kunst" ablehnte, wird die Schau als seine politischste und schon jetzt als wichtigste des Jahres gewertet.

Das Innere der Wunde

Insgesamt werden darin Werke von 37 schwarzen Künstlern und Künstlerinnen gezeigt, darunter große Namen wie Kerry James Marshall, Kara Walker oder Simone Leigh. "Grief" und "Grievance" visieren dabei eine Gegenüberstellung an: allgegenwärtige Trauer eines schwarzen Amerikas in Opposition zu weißer (oft politisch orchestrierter) Furcht, an Macht zu verlieren.

Für Enwezor war die Ausstellung eine Reaktion auf Donald Trumps Politik, Rassendiskriminierung und Gewalt an Schwarzen in den USA. Die daraus resultierende "schwarze Trauer" war jahrelang ein "nationaler Notfall", der von zahlreichen Kunstschaffenden verarbeitet wurde: von der Sklaverei über die Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre, Polizeigewalt bis hin zur Black-Lives-Matter-Bewegung heute. Dass sich die Situation nach seinem Tod noch so zuspitzen würde, konnte er nicht ahnen: Mit seinem hinterlassenen Vermächtnis steckt er den Finger tief in die klaffende Wunde.

Polizeigewalt und Black Lives Matter: "Untitled (policeman)" von Kerry James Marshall.
Foto: Kerry James Marshall / Jack Shainman Gallery, New York

Warnung: "Heavy stuff"

"This is going to be a lot different tour", kündigt unser Guide Troizel im Vorhinein an – eine virtuelle Führung via Zoom durch die New Yorker Schau also. In Tagen wie diesen muss man nehmen, was man bekommt. Dass diese allerdings nicht tatsächlich durch das Museum führt, enttäuscht einen als Besucherin kurz. Doch: Der Versuch, mit ausgewählten Werken, Detailperspektiven sowie Hintergrundinfos die fast 200 Teilnehmenden einzubinden, funktioniert besser als gedacht. Und man wird gewarnt – "Heavy stuff" erwartet uns.

An der bedrohlich wirkenden Szene in Procession von Jean-Michel Basquiat vorbeigekommen, sehen wir einen Ausschnitt des in Schwarz-Weiß gehaltenen Films Alone von Garrett Bradley. Die Protagonistin liegt allein in ihrem Bett – ihr Mann sitzt im Gefängnis. Eine Stimme vergleicht die Inhaftierung mit der Sklaverei. Der Unterschied: Im Knast werde man nicht erhängt. "Welchen Effekt hatte der Clip auf euch?", fragt Troizel. "Schmerz", "Leere", "Trauer" poppen als Antworten im Chat auf.

Hoffnungspflaster: "Antoines Organ" von Rashid Johnson.
Foto: Rashid Johnson / Hauser & Wirth

Pfauenfedern bis Pflanzen

Obwohl nur über den Bildschirm betrachtet, überkommt einen als Zuseherin eine Schwere, man fühlt sich platt und sprachlos. Die Werke scheinen selbst digital so gewaltig. "Heavy stuff" war eine Untertreibung. Wie es tatsächlich sein muss, vor der Arbeit Peace Keeper von Nari Ward zu stehen, kann man sich gar nicht ausmalen. Ein schwarz verklebter und mit Pfauenfedern gespickter Leichenwagen harrt in einem Käfig aus und erinnert an die Foltermethode des Teerens und Federns. Unter den Rädern liegen Auspuffrohre wie zerborstene Knochen.

Steht man dann vor der mit Pflanzen bewachsenen Regalkonstruktion von Rashid Johnson, verlässt einen langsam die Schwere. Stattdessen ergattert Hoffnung den freien Platz und legt sich wie ein Pflaster auf die Wunde. Normalerweise dringt Klaviermusik aus dem Inneren der Arbeit. Wie ein leises Flüstern stellt man es sich vor. (Katharina Rustler, 5.3.2021)