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Aus alten Tonnen haben sich Protestierende in Rangun Schutzschilde gebastelt. Das Militärregime reagiert mit immer mehr Härte gegen die Demonstranten.

Foto: AP/Stringer

Auf ihrem T-Shirt stand "Everything will be okay", als sie versuchte, auf der Straße in Mandalay in Deckung zu gehen. Wenige Momente später traf die 19-jährige Kyal Sin eine Kugel in den Kopf. Sicherheitskräfte hatten am Mittwoch auf eine Gruppe Demonstrierender geschossen. Die junge Studentin verstarb am selben Tag. Das Land sei kein Schlachtfeld, sondern eine "Zone des einseitigen Tötens", schrieb eine Demonstrantin auf Twitter. Auch am Donnerstag zogen wieder überall im Land Menschen durch die Straßen. Wieder wurde geschossen.

Einen Monat dauern die Proteste schon an, mehr als 50 Menschen wurden bisher getötet – die tatsächliche Zahl könnte viel höher sein, gab UN-Sonderbeauftragte Michelle Bachelet am Donnerstag an. Über 1700 Menschen sind mittlerweile in Haft, in den vergangenen Tagen wurden fast 30 Journalisten festgenommen.

Dabei haben die Proteste gegen den Militärputsch vom 1. Februar relativ ruhig begonnen. Das Militär hatte darauf gesetzt, dass sich die Bewegung über die kommenden Wochen von selbst wieder auflöst, etwa so wie 2014 in Thailand, meint Philipp Annawitt, der bis 2020 für das UN-Entwicklungsprogramm in Myanmar tätig war. Doch stattdessen kamen immer mehr Menschen, die sich immer effektiver vernetzt haben. Das Civil Disobedience Movement (CDM) ist in vollem Gange, von Selbstauflösung keine Spur.

Übergangsregierung sucht Anerkennung

Vor rund einer Woche scheint die Militärjunta beschlossen zu haben, härter durchzugreifen. Allein am Mittwoch wurden 38 Leichen gezählt, Ende vergangener Woche an einem Tag 18. Hinter den Kulissen der blutigen Proteste wird auf Hochtouren an friedlichen Alternativen gearbeitet. So soll, dem Putsch zum Trotz, eine Übergangsregierung zusammengestellt werden, die sowohl im Land als auch international breite Anerkennung findet, anstatt der des Militärs. Eine Gruppe von im November gewählten Parlamentariern stellt die aussichtsreichste Variante dar, diese Repräsentationsfunktion zu übernehmen.

Jenem sogenannten CRPH (Committee Representing the Pyidaungsu Hluttaw) gehören hauptsächlich NLD-Mitglieder an, also Mitglieder der Partei von Aung San Suu Kyi, die im November mit großer Mehrheit die Wahlen gewonnen hatte. Das Komitee genießt breite Unterstützung unter den Protestierenden. Auf lokaler Ebene wurden mancherorts bereits Schattenstrukturen geschaffen, die sich dem Komitee verpflichten – und nicht der Junta.

Auch international hatte das CRPH bereits einen großen Auftritt: In einer emotionalen Rede vor der UN-Generalversammlung hat sich U Kyaw Moe Tun, Myanmars UN-Botschafter, als Vertreter der CRPH-Übergangsregierung vorgestellt und um Hilfe gegen die Junta gebeten.

Zusammenbruch im Land

Die Militärregierung hat im Land selbst über viele Bereiche die Kontrolle verloren. Durch die CDM-Bewegung sind etwa das Gesundheitssystem und der öffentliche Transport kaum noch funktionsfähig. Zudem drohen die Banken zu kollabieren, erklärt Annawitt: "Die CDM weitet sich auf neue Sektoren aus, unter anderem nehmen auch erste Soldaten teil." Unter den über 120 ethnischen Minderheiten mit zum Teil mächtigen Rebellenarmeen hat das Militär bis auf wenige Ausnahmen kaum Verbündete.

Dabei ist das eine der Schlüsselfragen für Myanmars Zukunft – nicht nur für das Militär. Auch das CRPH steht vor der Herausforderung, Vertreter ethnischer Minderheiten ins Boot zu holen. Diese stehen der NLD teilweise skeptisch gegenüber und wollen mehr Mitbestimmung. Die EU hat am Donnerstag als Reaktion auf die Eskalation Entwicklungshilfegelder gesperrt.

Bisher gibt sich die Junta weiter entschlossen. Die UN-Beauftragte für Myanmar, Christine Schraner Burgener, sagte am Mittwoch, dass Militärvertreter auf Warnungen so reagiert hätten: "Wir müssen lernen, mit wenigen Freunden zu gehen." Und Sanktionen sei man schon gewöhnt. Zu den Gewalttaten gibt es keine Stellungnahmen. (Anna Sawerthal, 4.3.2021)