Zu zweit lässt sich eine Pandemie besser bewältigen. Aber wie findet sich dafür jemand, wenn man eigentlich niemanden treffen darf?

Foto: Anna Breit

Jetzt reicht es dann mit Schriftverkehr!

Im ersten Lockdown führte ich eine Fernbeziehung mit einem Mann, den ich zuvor und seither nie gesehen habe. Wir lernten einander auf Tinder kennen, lebten aber in unterschiedlichen Ländern (danke, Tinder-Reisepass!). Treffen konnten wir uns nicht, die Grenzen waren ja dicht. Das hielt uns nicht davon ab, einander täglich zu schreiben und stundenlang zu telefonieren. Andere Ablenkungen gab es im Lockdown in Wahrheit auch nicht. Nach einem Monat des Kennenlernens, Flirtens und Philosophierens kriselte es erstmals. Als klar war, dass die Grenzen wieder öffnen würden, waren wir uns nicht sicher, wie es weitergehen sollte. Treffen mit Aussicht auf eine komplizierte Fernbeziehung oder einfach einmal weiter telefonieren? Je wärmer es wurde, desto mehr ebbte der Kontakt ab. Wenige Wochen später zog er sich ganz zurück. Er hatte eine andere Frau kennengelernt – in seiner Stadt.

Ein paar Lockdowns später matchte ich auf Tinder dann auch jemanden mit derselben Postleitzahl, den ich gut fand. Bloß hatte der bereits eine Partnerin – und suchte eine zweite. Treffen wollte er mich erst, wenn ich sicher wüsste, ob auch ich polyamourös leben wollte. Bis dahin könnten wir uns ja weiterhin schreiben, meinte er. Meine Antwort war klar: Ich hatte schon genug Schriftverkehr für eine Pandemie.

Ein Dreier als Pandemieexperiment

Eines Abends swipte ich im bereits illuminierten Zustand durch Tinder und entdeckte ein Profil, auf dem sich zwei junge Männer im Duo anboten. Ich hatte Fragen: Macht ihr das zum ersten Mal? Macht ihr dann auch etwas miteinander? Seid ihr Brüder (bitte nicht!)? Sie antworteten geduldig und humorvoll. Ja, es ist das erste Mal, sie sind gute Freunde und beide ziemlich hetero. Was Neues ausprobieren? Pandemie macht eben auch sexuell kreativ. Zwei Stunden später standen sie vor meiner Tür. Sie waren gesprächig, respektvoll, unobszön und genauso aufgeregt wie ich. Kurz kippte die Stimmung, als der eine meinte, er würde sich nicht gegen Covid impfen lassen. Das unter Dirty Talk zu verbuchen fiel mir doch etwas schwer. Aber ich war mittlerweile bereit, Abstriche zu machen, nicht nur von der Nase, sondern von wegen andere Meinungen gelten lassen und so.

Auch im Bett herrschten ein paar Uneinigkeiten. Der eine ließ es ganz langsam angehen, der andere machte Tempo. Ich versuchte mit horizontaler Diplomatie zu begegnen. Als das Stelldichein vorbei war, verabschiedeten sich die beiden Herren wie ausgemacht. Ich fragte später nach, ob sie mit ihrem Doppelprofil weitere Erfolge einfahren konnten. Sie waren allerdings zur Einsicht gekommen, Sex in Zukunft dann doch lieber nicht teilen zu wollen.

Ein Kuss mit Schuldgefühlen

Ein erstes Date muss nicht automatisch dazu führen, dass man sich näherkommt – insbesondere in einer Pandemie. Mit dieser Einstellung entschloss ich mich, mein Tinder-Match zu treffen, obwohl mir eine Freundin erzählte, dass sie mit einer Corona-positiven Person Kontakt hatte und wir uns vor drei Tagen im Freien getroffen hatten. Ich hielt es für unwahrscheinlich, dass meine Freundin sich angesteckt hatte, und für noch unwahrscheinlicher, dass auch ich mich infiziert haben könnte. Dennoch ging ich mit einem mulmigen Gefühl zu dem Park, in dem ich mich mit meinem Date verabredet hatte. Doch das Treffen lief sehr gut – anders als die meisten Spazierdates, nach denen beide bereits wissen, dass man sich nie mehr wiedersehen wird.

Später begleitete er mich ein Stück nach Hause – und obwohl ich versuchte, die Verabschiedung schnell abzuhandeln, umarmte er mich kurz und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Ich habe mich zwar über die eigentlich harmlose Geste gefreut, musste aber mit Schuldgefühlen kämpfen. Hätte ich doch besser absagen sollen? Das schlechte Gewissen plagte mich nicht allzu lange. Weder meine Freundin noch ich waren mit Corona infiziert. Und mit meinem Match sollte es nur das erste Treffen von vielen gewesen sein.

Bei Kälte geht das Gewissen baden

Single sein im zweiten Lockdown – der blanke Horror. Wenn Herbst und Winter näherrücken, ist die Sehnsucht, jemanden kennenzulernen, an sich schon riesengroß. Der Gedanke, diese Zeit in der Corona-Pandemie allein zu verbringen, trieb dieses Gefühl endgültig auf die Spitze. Meine Freizeit investierte ich daher exzessiv in das Swipen auf Tinder. Wenn es zu Dates kam, fanden diese meist bei mir daheim statt. Draußen war es dunkel und kalt, Bars zugesperrt, Spazierengehen längst ultrazach. Dass allein das Filmschauen mit einer wildfremden Frau schon eine reelle Gefahr für beide darstellte, kümmerte mich immer erst im Nachhinein. Recht egoistisch und deppert, ich weiß. Wenn es nicht gefunkt hat, war da sofort das Gefühl: Das war nicht nur nix, bei meinem Glück habe ich jetzt auch noch Corona!

Ein Match hat gleich Tacheles gesprochen. Wir hatten wenige Nachrichten ausgetauscht, dann wollte sie telefonieren. Nach ein paar Minuten Gespräch kam ihre klare Absage: "Du, das wird nix, sorry. Ciao!" Wäre ich einmal ab und zu ähnlich deutlich gewesen. Das hätte mir ein Date mit einer eingerauchten Frau erspart, die nach einer langen Unterhaltung erst nur gegen Geld mit mir schlafen wollte – und am Ende meinte, dass sie das nicht so gemeint habe. Wie gern ich plötzlich Single war! (Protokolle: Davina Brunnbauer, 6.3.2021)