Darstellungen von verschiedenen Körperformen sind noch nicht in den Massenmedien angekommen.

Foto: Anna Breit

Ich entspreche nicht dem Schönheitsideal: Das sagt Marlene gleich zu Beginn des Gesprächs. Sie sei "ein bisschen dicker", ergänzt die 20-jährige Studentin. Das ist zwar im Videotelefonat nicht zu erkennen – doch dass die Steirerin ein belastetes Verhältnis zu ihrem Körper hat, ist spürbar. Immer, wenn sich das Gespräch darum dreht, sucht Marlene nach den richtigen Worten. Corona hat ihre Unsicherheit verschärft. "Während der Pandemie hat es sonst nichts gegeben, womit ich mich hätte auseinandersetzen können", sagt sie, "ich hatte auch weniger Grund, mich schön herzurichten – und hab mich deshalb noch weniger hübsch gefühlt."

Kein Tanzen mit Unbekannten in Clubs, kein Feiern mit Bekannten auf Partys, kein gemütliches Zusammensitzen mit Freunden: Für viele junge Menschen bricht in der Pandemie ein Großteil ihres Soziallebens weg – und damit auch ein stückweit ihr Körperbild, das Jugendliche stark über den direkten Vergleich mit anderen definieren.

Fehlendes Körpergefühl

Davor, dass diese Ebene nun wegen der Pandemie verschwindet, warnen Experten wie Beate Wimmer-Puchinger: "Das Gefühl zum eigenen Körper verändert sich, wenn die soziale Umgebung wegfällt." Die Psychologin ist auch Präsidentin des Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen und hat vor der Pandemie an Wiener Schulen zum Körpergefühl von Jugendlichen geforscht. Sie fürchtet, dass Jugendliche während der Corona-Maßnahmen noch mehr soziale Medien nutzen. Für Wimmer-Puchinger eine toxische Umgebung: "Social Media schafft Normen, die gerade junge Menschen nicht erfüllen können", sagt die Psychologin.

Diesen Druck spürt auch Aram. "Ich weiß, dass die Menschen auf Social Media ihre perfekten Körper nicht geschenkt bekommen haben", sagt der 21-jährige Student, "aber ich konnte nicht ausschalten, dass mein Körper nicht so aussieht." Wie Marlene erzählt auch der Steirer, dass er seit langem Probleme seinem Körper hatte: "Ich fühle mich minderwertig und sehr viel schlechter als alle anderen auf den sozialen Medien."

Schau mich an!

Matthias Rohrer, Studien- und Projektleiter beim Institut für Jugendkulturforschung, beobachtet diese Entwicklung schon länger. Soziale Medien sind mittlerweile Hauptmedien für junge Menschen, Instagram und Tiktok kommen dabei aber Sonderpositionen zu. "Gerade wenn es um die Vermittlung von Schönheitsidealen geht, ist Bild das perfekte Trägermedium", sagt Rohrer.

Diese Beeinflussung sei kein Phänomen, das erst mit dem Boom der sozialen Medien entstanden sei. "Das ist spätestens seit dem Aufkommen der Massenmedien ein großes Thema", sagt Rohrer. Außerdem entstehen die Inhalte auf sozialen Medien nicht im luftleeren Raum. "Menschen reproduzieren bestehende Schönheitsideale", sagt Rohrer, "was wir als schön empfinden, wird oft in Filmen und der Werbung definiert." Influencer reproduzieren diese Bilder und Vorstellungen.

Auch Marlene sieht das Problem nicht auf soziale Medien beschränkt: "Wenn ich Druck wegen Bildern auf Instagram spüre, dann ist das nicht wegen Instagram selbst. Es verstärkt nur ein Gefühl, das ich bereits hatte." Es gibt jedoch Bilder auf der Plattform, die ihrem Selbstbewusstsein einen Boost geben. Wenn Marlene dort Menschen sieht, die ähnlich gebaut sind wie sie, erkennt sie sich wieder. Sie liest dann die Kommentare unter solchen Postings: "Ich denke dann immer, wenn sie diese Bilder hübsch finden, dann finden Leute auch mich hübsch!"

Wimmer-Puchinger sieht in Diversität eine Chance. "Sie könnte den Blick erweitern", sagt die Psychologin, "dadurch bietet sich die Möglichkeit, sich in seiner Einzigartigkeit in den Bildern wiederzufinden." Jugendforscher Rohrer ist da skeptischer. Zwar können die Darstellungen Teenagern Bestätigung und Hilfe bieten, aber: "Solange es nicht in der gesamten Massenkommunikation einen Umschwung gibt, bleibt die Wirkung beschränkt."

Charakter und Aussehen verknüpft

Er findet es problematisch, dass nach wie vor bestimmte Charaktereigenschaften mit dem Aussehen verknüpft werden. "Wir befinden uns in einer Zeit, wo fast gilt: Wenn du nicht gut aussiehst, kannst du auch nicht erfolgreich sein." Jugendlich und fit zu wirken sei das Ziel. Hat jemand ein paar Kilo mehr auf den Rippen, gilt er schnell als faul. Der Jugendforscher fürchtet, dass sich derlei Zuschreibungen durch die Pandemie verstärken werden.

Wie hart jene beurteilt werden, die mehr wiegen als der Durchschnitt, hat der Steirer Aram als Kind erlebt: "Ständig wurde mir gesagt: 'Du bist zu dick, dein Körper ist hässlich, du bist zu schwer.'" Mittlerweile hat er abgenommen. "Wenn du von allen Seiten so was hörst, das macht dich auch für später kaputt", sagt Aram. Er hätte sich mehr Akzeptanz für sein Anderssein gewünscht.

Du bist toll

Dafür plädiert auch die Psychologin Wimmer-Puchinger: "Sagen Sie Ihren Kindern: 'Du bist toll, wie du bist! Du bist großartig!' Kinder brauchen Zuspruch." Ein positives Gefühl dem eigenen Körper gegenüber nennt sie eine "Vitamintablette gegen seelische Erkrankungen". Wer in der Pandemie Probleme hat, sich in seiner Haut wohlzufühlen, dem empfiehlt sie viel Bewegung im Freien, Struktur im Alltag und so weit wie möglich soziale Kontakte. Das reiche aber nicht immer. Deshalb fordert sie mehr kinderpsychologische Anlaufstellen und Jugendpsychologen. "Wir haben die Alten geschützt. Aber jetzt müssen wir auch an die Kinder und die Generation Y denken", sagt Wimmer-Puchinger.

Marlene hat sich während der Pandemie therapeutische Hilfe gesucht. Ein langer und schwieriger Prozess, während dem sie sich auch mit ihrem Körper auseinandergesetzt hat. Heute geht es ihr besser.

Wenn sie einen schlechten Tag hat, hilft es ihr, sich zu herzurichten – auch ohne Anlass: "Dann hau ich mir Lippenstift rauf und denke mir: Schaust echt gut aus!" (Ana Grujić, 9.3.2021)