"Die Politik ist wie die Andouillette: Sie muss ein bisschen nach Scheiße riechen, aber nicht zu sehr", sagte der französische Politiker Édouard Herriot.

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Der Krisenkolumnist hat ein Faible dafür, wenn Wurstvergleiche bemüht werden, um politische Vorgänge und Verhältnisse zu illustrieren. Seit langem schon kannte ich das Bismarck zugeschriebene Bonmot, das Volk solle "nicht dabei sein, wenn Gesetze oder Würste gemacht werden, sonst wird ihm schlecht".

Neu war mir ein Zitat des französischen Politikers Édouard Herriot, auf welches ich unlängst stieß und das da lautet: "Die Politik ist wie die Andouillette: Sie muss ein bisschen nach Scheiße riechen, aber nicht zu sehr."

Die Andouillette ist eine regionale französische Wurstspezialität, die zu zwei Dritteln aus Schweinedarm und zu einem Drittel aus einer gewürzten Mixtur von faschierten Schweinemägen und -kehlen besteht. Es handelt sich um kein Gericht, das man veganen Freunden zum Abendessen vorsetzt (außer man bereitet es aus pflanzlich nachgebildeten Därmen, Mägen und Kehlen zu).

Herriot (1872 bis 1957) war Bürgermeister von Lyon, Präsident der Abgeordnetenkammer und dreimal französischer Ministerpräsident. Der Mann wusste, wovon er sprach. Und natürlich trifft seine Beobachtung nicht nur auf Frankreich, sondern international zu.

Von Fäkalgeruch umwabert

Das Publikum – dies ist das Originelle an Herriots Diktum – verzeiht es, ja will es sogar, dass die Politik von einem gelinden Fäkalgeruch umwabert ist. Zu Recht. Sonst bestünde die Gefahr, dass man die Differenz zwischen Politik und einem Krippenspiel verwischt. Verdächtig sollte sein, wenn Politiker so tun, als röchen sie ausschließlich nach Rosen und frischem Brot. Tun sie so, ist meist etwas anderes am Dampfen.

Manche meinen, es liege weltweit der Duft der Oligarchie in der Luft, nach einer animalischen Nähe von großem Geld und Politik, die den Verdacht aufkommen lässt, Politik sei nur noch eine Funktion des Geldes. Er wird genährt von einem Politikertypus, der sich generös von Großkopferten sponsern lässt, während er zugleich identitätspolitisch herumtobt und sich – Ausländer raus! Grenzen zu! – vorgeblich für den kleinen Mann in die Bresche wirft.

Wie lautet der Befund für den politischen Würstelstand hierzulande? Riecht es noch dezent genug? Oder schon "zu sehr"? Ich empfehle mündigen Bürgern den Herriot-Test: bewusst die Nase in den Wind halten und präzis wahrnehmen, was in der Luft liegt. (Christoph Winder, 6.3.2021)