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Ich habe mittlerweile rund 70 Stunden – oder anders gesagt: fast drei Erdentage – in Valheim verbracht. Es gelingt nicht vielen Spielen, mich derart lange zu unterhalten. Und Survival-Games, die es mittlerweile wie Sand am Meer gibt, sind üblicherweise nicht darunter.

Das wirft für mich die Frage auf, was das Wikinger-Abenteuer mit seinem reduzierten Look denn eigentlich anders macht als seine Alternativen in diesem Genre. Die Antwort ist kompliziert und doch irgendwie einfach. Der Versuch einer Analyse.

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Benefits with Friends

Es ist nicht so, dass andere Survival-Games gar keinen Reiz für mich haben. Immerhin 18 Stunden erforschte ich etwa die Welt von 7 Days To Die. Allerdings nur gemeinsam mit Freunden, der Reiz im Solospiel verflog für mich recht flott. Denn wenn man nicht mit anderen zusammenspielt, werden die Schwächen eines solchen Spiels umso offensichtlicher.

Keine Gespräche, die von Leerläufen ablenken, oder Arbeitsteilung, die den sogenannten "Grind" erträglicher machen. Für Leser, die mit Gaming-Jargon weniger vertraut sind: Es handelt sich in diesem Fall nicht um Wiener Umgangssprache, sondern einen Begriff, der repetitive Tätigkeiten beschreibt, die für die Erreichung von Spielfortschritt unumgänglich sind. In Survivalgames wäre der Klassiker das Sammeln von Ressourcen. Bäume fällen, Steine zerhacken, Beeren pflücken und dergleichen.

Mein kleines, aber wachsendes Domizil in meinem Solo-Spielstand.
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Kein Essenszwang

Auch in Valheim gibt es diese Pflichtübungen, sie sind aber auf eine lockere Art implementiert. Ein kleines Häuschen für das Notwendigste ist schnell gezimmert, Holz ist üblicherweise schnell verfügbar (und lässt sich im weiteren Verlauf auch neu anpflanzen). Auch andere oft gebrauchte Ressourcen erreicht man flott. Ganz wichtig aber: Hunger ist nicht tödlich. Wer satt ist, hat abhängig vom Gegessenen mehr Lebenspunkte und Regeneration. Sind gerade keine Feinde in der Nähe, während man einfach nur sein Haus ausbaut oder den Garten beackert, kann man auch darauf verzichten. Man fällt nicht vor Hunger tot um. Durst existiert nicht.

Damit entfällt ein Element, das in vielen anderen Survival-Games permanent Druck auf den Spieler ausübt. Da hört sich irgendwann der Spaß für mich auf. Spätestens wenn ich gefühlt die halbe Zeit darin investieren muss, Nahrung zu suchen und zu horten, anstatt die Welt zu erkunden, führt mein Weg eher früher als später zum "Deinstallieren"-Button.

Auf Trolljagd.
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Sinnvolle Simplifizierung

Und auch Crafting gibt es natürlich in Valheim. Auch hier haben die Entwickler sinnvolle Vereinfachungen vorgenommen. Gerade die ersten Rezepte bzw. Anleitungen für Ausrüstung, Hilfsobjekte und – später – höherwertiges Essen sind simpel gehalten. Das System erschließt man sich graduell. Kaum etwas, das man basteln oder kochen kann benötigt mehr als drei oder vier Zutaten.

Und sobald einen neuen Werkstoff das erste Mal aufsammelt, verrät das Spiel einem automatisch, welche Dinge sich damit in Kombination mit schon bekannten Materialien herstellen lassen. Man muss nicht wild herumprobieren oder irgendwelche Pläne erbeuten oder stundenlang Tutorialvideos ansehen, um aus der buchstäblichen Steinzeit heraus zu finden. Dazu kommt, dass Gegenstände und Ausrüstung zwar kaputt gehen können. Die Reparatur kostet allerdings nur einen Klick und keine Ressourcen.

Mystische Stimmung im Black Forest.
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Nicht nur gemeinsam schön

Gemeinsam mit Freunden ist Valheim eine schöne Gruppenerfahrung. Gemeinsam erlebt man Abenteuer, steckt sich Ziele und nimmt ambitionierte Bauprojekte in Angriff. Die Vierercrew, mit der ich spiele, hat mittlerweile schon eine beachtliche, kleine Siedlung hochgezogen, inklusive eigener Häuser, Werkstatt, Versammlungshalle, Garten, selbst gepflanztem Nutzwald und – als neueste Errungenschaften – ein Portalhaus und eine zweite, kleine Basis in einem entfernteren und gefährlicherem Gebiet.

Alleine entfaltet das Game für mich ein wenig das Flair einer Survivalversion von Gothic 2. Hartgesottene Fans des wohl bekanntesten Rollenspiels aus dem deutschsprachigen Raum denken vielleicht jetzt daran, Innos um Beistand ob meines Deliriums anzuflehen, aber ich kann tatsächlich einige wichtige Parallelen entdecken.

Abendstimmung auf meinem Steg.
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Da wäre etwa die grafische Komponente. Gothic 2 lieferte eine realistisch gestaltete Landschaft in – für damalige Verhältnisse – hübscher Grafik. Auch die Landschaften, die Valhein zum Start eines Abenteuers zufällig generiert, wirken glaubwürdig. Die verschiedenen Biome gehen recht fließend ineinander über (auch das beherrscht längst nicht jedes Game dieser Art, looking at you, 7 Days to Die).

Dazu kommt, dass man immer gefährlichere Gebiete findet und sich stets selbst entscheiden kann, ob man bei einem Ausflug dorthin riskiert, von einem übermächtigen Gegner tödlich überrascht zu werden, oder doch lieber in sicheren Landen bleibt. Widersacher skalieren nicht mit dem Spieler, sondern nur mit der Anzahl der Abenteurer, die in der Nähe voneinander unterwegs sind. Wer zu früh einem großen, grimmigen Toll begegnet und nicht ausweicht, darf den Weg dorthin bald wieder antreten, um vom Ort des Ablebens sein Hab und Gut aufzusammeln. Teil der Gothic 2-Reminiszenz ist sicher auch das eher simpel gestrickte Kampfsystem mitsamt teils klobiger Animationen und der mäßig schlauen Gegner-KI.

Spannend wird es auch, wenn man zum Rand der Spielkarte segelt. Ein Abenteuer, das ich mit einem Freund gewagt habe. Was dort zu finden ist, möge jeder selbst herausfinden (oder sich selbst auf Youtube spoilern).

Die Rebell.at-Crew hat sich mit der Zeit ein beachtliches Dorf gebaut.
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Zeit zum Chillen

Und auch wenn man es allein über Screenshots kaum glauben mag, ist das Spiel eigentlich trotz seiner vereinfachten Grafik schön anzusehen. Die Entwickler wissen Lichteffekte und volumetrischen Nebel gut einzusetzen. Egal ob grüne Wiesen, finsterer Wald, modriger Sumpf oder verschneites Bergland. Ob Sonnenschein, Sturm oder Nebelschwaden – das Game versteht es perfekt, Immersion zu erzeugen.

Wenn ich nicht gerade neue Gegenden "meiner" Insel erkunde oder auf meinem Floß günstige Winde auszunutzen versuche, um in See zu stechen, genieße ich es, durch den Wald zu schleichen, um Rehe mit Pfeil und Bogen zu jagen. Oder vor meinem Haus am Steg zu sitzen und den Sonnenuntergang zuzusehen, während ich ganz real dazu ein Bier köpfe. Wohlige Seelenwärme steigt auch auf, wenn man drinnen vor dem virtuellen Feuer sitzt, während ein Sturm den Regen durch die Wikingerwelt peitscht Man meint, das Pixelfleisch auf den Spießen fast riechen zu können.

Wohlig knistert das Fleisch im Ofen, während draußen der Sturm die Wellen an Land peitscht.
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Anders formuliert: Valheim bietet etwas, das in vielen anderen Survival-Games fehlt: Entspannung. Klar, in Hardcore-Überlebensspielen ist derlei Luxus vielleicht deplatziert, aber selbst in mainstreamtauglicheren Games dauert es nicht lange, ehe der drohende Hungertod mich wieder zwingt, aktiv zu werden.

In diesem Spiel kann ich auf Abenteuer gehen und trotzdem unbekümmert die Seele baumeln lassen, solange ich will. Eine Qualität, die man gerade in Zeiten, in denen die realen Urlaubsmöglichkeiten doch stark beschränkt sind, nicht unterschätzen sollte. (gpi, 6.2.2021)