"Hupf in Gatsch": Das inoffizielle Festivalmotto.

Foto: Cathal McNaughton

Camping

Festivals sind natürlich. Wer nicht bei den Pfadfindern war oder keine naturverbundenen Eltern hat, zeltet auf Festivals häufig zum ersten Mal unter den Sternen, die es entweder wahrhaftig gibt – oder die man alkoholbedingt sieht. Eigens dafür angeschaffte Isomatten und Schlafsäcke haben bei Abreise oft den Zustand radioaktiven Abfalls erreicht. Deswegen werden sie bei Veranstaltungsende gern auf den Campingplätzen vergessen – nebst einigem anderen. Gegen die Müllverschmutzung auf Festivals wurden in den letzten Jahren einige Initiativen gestartet.

Grind

Festivals sind Wäääh. Kommt der Regen – und er kommt bestimmt
–, sind auch Gummistiefel nur noch ein nettes Accessoire. Bis in die Unterhose reicht der Gatsch hinein und verfeinert den eigenen Körpergeruch aus Drei-Tages-Schweiß und Bier noch um diese ganz spezielle Note Dreck. Wer aufs Klo muss – und auch das muss man bestimmt –, dem Gnade Gott. Der Weg ist a) dunkel, b) weit weg und am Ende steht da noch ein Dixiklo. Selten ist man so froh, so wenig zu sehen.

Fashion

Festivals sind Laufstege. Es geht ums Sehen und Gesehenwerden. Und so gibt es jedes Jahr auch einen Festival-Trend, an dem sich Online-Versandhändler dumm und dämlich verdienen. Vor ein paar Jahren regierte der Boho-Chic, also hippieske Wallekleider, Blumenkränze im Haar, Woodstock 2.0. In Moment gehen die modischen Tendenzen wohl mehr in Richtung Billie Eilish: neonfarbene Oversize-Fetzen. Zum Festival gehören aber auch Verkleidungen vom Einhorn-Onsie bis zur Ganzkörperbemalung – hier tun sich auch die Männer stark hervor.

Drinks und Drogen

Festivals sind bummzua. Wiewohl die meisten Jugendlichen ihren ersten Vollrausch nicht erst dort erleben, sind Festivals ein passender Ort, um den Rausch zu kultivieren und für ein paar Tage zum Dauerzustand zu machen. Das Bier ist Dose, in zahlreichen Trays lagert es in der Zeltstadt und entwickelt dort bald eine wohlige Wärme. Dazu mischt sich das Eau-de-Festival: der Geruch von Weed.

Massen

Festivals sind eng. Arbeitet man sich doch mal in die vorderen Reihen vor einer Bühne vor, hat man das Jahressoll an Körperkontakt mit Fremden erreicht. Derzeit ist dieses Gefühl, ein kleiner Baustein in diesem wogenden Tetris der Körper zu sein, Ellenbogen in die Seiten gestoßen zu bekommen, eigentlich unvorstellbar. Aber das war auch die Idee, man könnte es je vermissen.

Helga

Festivals sind laut. Nicht nur wegen der Musik, die es dort angeblich auch gibt. Es wird jedenfalls viel geschrien. Oft und gern: "Helgaaaaa!". Geantwortet wird dann wiederum mit "Helga". Über die Entstehung des Running Gags herrscht bei den Annalisten Uneinigkeit. Streitigkeiten um eine Dose Ravioli, ein junger Mann auf der Suche nach seiner Freundin oder ein Hochdruckgebiet namens Helga werden als möglicher Ausgangspunkt der "Legend of Helga" genannt.

Sex

Siehe auch Grind.

Angeberei

Festivals sind Distinktion. "Wir waren dort und du nicht" macht schon auch einen Teil des Spaßes aus. Vor allem, wenn man mit epischem Kater in der Sonne eingeschlafen ist, danach aussieht wie eine Tomate und unerträgliche Schmerzen leidet, hat man als Heimkehrer wenigstens eine gute Geschichte zu erzählen, die die Cousins und Cousinen vor Neid erblassen lassen wird. Heutzutage kann man die fomo, die "fear of missing out", bei anderen leichter erzeugen, da man seine Erlebnisse in Echtzeit auf sozialen Medien teilen kann. Dafür ist Lügen nicht so leicht. Dass man mit der Drummerin des Hauptacts geschmust habe, kann man heute nicht mehr einfach so erzählen, da braucht es Beweise. Pic it – or it didn’t happen!

Freunde

Festivals sind Erinnerungen. Oftmals sind sie für Jugendliche der erste gemeinsame Urlaub mit ihren Freundinnen und Freunden. Nach langer Überzeugungsarbeit bei den Eltern hat man sich ein paar Tage Freiheit verhandelt, die man nun so richtig auszukosten gedenkt. Dramen werden sich im Zwei-Mann-Zelt natürlich auch abspielen, Thomas wird sich unsterblich in den Notfallsanitäter verlieben – und wo ist eigentlich Laura? An die Dinge, an die man sich noch erinnern kann, erinnert man sich lange. (Amira Ben Saoud, 7.3.2021)