Wann immer Politikerinnen und Politiker schmerzhafte Reformen vermeiden wollen, appellieren sie an die Eigenverantwortung der Einzelnen. Das ist praktisch, weil man unangenehme Entscheidungen nicht selbst treffen muss, sondern die Verantwortung weitergeben kann.

Nirgends wird das so deutlich wie bei der Klimakrise. Parteien, die am Status quo so wenig wie möglich ändern möchten, versuchen die Bevölkerung zu motivieren, Lebensmittel doch möglichst regional zu kaufen. Und kennen Sie diese in Wachs getränkten Stofftücher, die man statt Frischhaltefolie verwenden kann? Wenn wir alle ein bisschen etwas tun, retten wir die Welt, angeblich. Das sagen zumindest jene, die die Macht hätten, tatsächlich etwas zu verändern. Es ist ein politischer Taschenspielertrick, um selbst keine Verantwortung übernehmen zu müssen.

Was wir von Fridays for Future an Aktionismus sehen, ist gerade erst der Anfang.
Foto: imago/Michael Matthey

Er kommt in abgeschwächter Form auch in der Corona-Krise zur Anwendung. Denn natürlich gibt es da einen Unterschied: Eine Infektion kann hunderte weitere zur Folge haben, eine verhinderte Ansteckung ist also ein großer Schritt und liegt mitunter tatsächlich in der Verantwortung des Einzelnen. Doch die großen, wirksamen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie liegen auch hier in den Händen der Politik: das Forcieren von Homeoffice, nachvollziehbare Regeln, Testen, Tracen und Impfen.

Klima und Corona

Nirgends werden die unterschiedlichen Interessen der Generationen so deutlich wie bei den Themen Klima und Corona. Das zeigt sich ja nicht zuletzt daran, dass die psychischen Folgen der Krise vor allem Jüngere betreffen: Freunde zu treffen, sich auszutauschen und zu feiern hat für sie einen ganz anderen Stellenwert. Umgekehrt haben Stabilität und Komfort im Lebensabend mehr Gewicht: "System change, not climate change" skandiert sich als Teenager leichter als als Pensionist.

Wenn wir diese Bedürfnisse ernst nehmen, dürfen wir sie nicht gegeneinander ausspielen: Kein Jugendlicher bricht die Corona-Regeln, weil ihm die Großmutter auf der Intensivstation egal ist. Und keine Pensionistin bucht eine Kreuzfahrt, weil sie glaubt, von den Auswirkungen der Klimakrise ohnehin nicht mehr betroffen zu sein.

Es ist die Aufgabe der Politik, Interessen auszuhandeln und Entscheidungen zu treffen. Daran muss sie ab und zu erinnert werden. Die Jugend hat – im Großen und Ganzen – gezeigt, dass sie bereit ist, Einschränkungen hinzunehmen. Eine engagierte Klimapolitik sollte keine Belohnung dafür sein, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Es gibt Hoffnung. Denn was wir von Fridays for Future an Aktionismus sehen, ist gerade erst der Anfang. Die Jugend findet inmitten der Klimakrise gerade ihre Stimme, sie wird lauter, auch dank einer perfekten Vernetzung im Internet. Und sie fordert Handlungen ein: ein seriöser Preis für Kohlendioxidemissionen, eine echte Wende bei Verkehr und Energie.

Jugendliche lassen sich heute nicht mehr mit Verweisen auf die Eigenverantwortung abspeisen, sie wollen Taten und Reformen sehen. Gerade jetzt, wo gezeigt wurde, dass im Ernstfall die gesamte Welt auf den Kopf gestellt werden kann. Dass echte Reformen, eine echte Umstellung auch bei der Klimakrise notwendig sind, weiß die Jugend – und sie fordert dies ein. Wir sollten uns ihr anschließen. (Sebastian Fellner, 5.3.2021)