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Kanzler Sebastian Kurz und seine ÖVP sind klarer Erster in Umfragen, aber derzeit läuft es nicht gut.

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Die Message ist außer Control geraten. Die ÖVP galt seit ihrer Übernahme durch Sebastian Kurz als Partei, die perfekt kommuniziert; geschliffen, getaktet, stark in der Abwehr, alles unter Kontrolle. Doch plötzlich schwimmen die Türkisen. Nahezu täglich gibt es neue Nachrichten, die den Kanzler in ein schiefes Licht rücken und die von der Opposition mit Inbrunst aufgegriffen und von den Medien breitgetreten werden.

Noch gibt es keinerlei Hinweis auf eine direkte Involvierung von Kurz in einen der vielen Skandale, die derzeit aufpoppen, aber die Einschläge kommen näher. Die Verunsicherung, die diese Häufung an Vorfällen im Umfeld des Kanzlers auslöst, hat längst sein gesamtes Team erfasst. Und das merkt man – auch in der Kommunikation nach außen.

Die schlechten Nachrichten begannen mit den Plagiatsvorwürfen gegen Arbeitsministerin Christine Aschbacher Anfang Jänner, die schließlich zu ihrem Rücktritt führten. Das Aufsehen darüber war mit der Nominierung Martin Kochers als Nachfolger rasch übertüncht. Aber schon wackelten die nächsten Regierungsmitglieder. Mit dem virtuellen "Kaufhaus Österreich" hat Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) einen veritablen Bauchfleck gelandet, das war finanziell und vom Image her ein Schaden. Innenminister Karl Nehammer überlebte dann einen Misstrauensantrag nur knapp. Die Grünen waren sauer und zeigten das auch.

Die "Machtübernahme"

Der nächste Tiefschlag war die Hausdurchsuchung bei Finanzminister Gernot Blümel Anfang Februar, dem engsten Vertrauten von Kurz. Für den Kanzler war das ein Affront. Denn klar schien, dass sich die Aktivitäten der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft eigentlich gegen ihn richten. Dass im Ermittlungsakt von der "Machtübernahme" durch Kurz in der ÖVP die Rede ist, bekräftigte den Kanzler in der Ansicht, dass es in der Justiz Vorbehalte gegen ihn gebe. In der Causa Blümel geht es um den Verdacht der Bestechung und der Bestechlichkeit, um Spenden, die unter der Obmannschaft von Kurz für die ÖVP lukriert worden seien – das "Projekt Ballhausplatz", das Kurz zum Kanzler machte.

Ermittelt wird aber auch gegen den früheren Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) und den Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek. Schon länger laufen Ermittlungen gegen den früheren Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP). Bei Kurz sollen die Nerven inzwischen blankliegen. Es sind Vertraute von ihm, die hier ins Visier der Justiz geraten, es sind Causen, die die neue Volkspartei in ein schiefes Licht rücken.

Minenfeld U-Ausschuss

Hinzu kommt, dass sich der parlamentarische U-Ausschuss zur Ibiza-Affäre für Kurz immer mehr zu einem Minenfeld entwickelt – auch aufgrund von Nina Tomaselli, der grünen Fraktionsführerin, die keinerlei Rücksicht auf die ÖVP zu nehmen scheint.

Das Verhältnis zu den Grünen hat sich merklich abgekühlt. Viele Grüne machen aus ihrer Antipathie gegen die ÖVP kaum noch einen Hehl. Die Auseinandersetzung um die nächtliche Abschiebung von Kindern haben Kurz und Innenminister Nehammer unterschätzt. Daraus ergab sich ein Konflikt, der sich tief in diese Koalition eingegraben hat. Dass sich die Grünen in der Auseinandersetzung um die Justiz so deutlich gegen die ÖVP gestellt haben und Blümel eher attackieren als verteidigen, hat wiederum die ÖVP schwer erzürnt. Kanzler Kurz soll Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler eine Rüge erteilt haben. Die Grünen müssten sich zusammenreißen, man sei nicht mehr Opposition. Oder?

Tatsache ist aber auch, dass die Grünen die eigenen Leute kaum im Griff haben. Eine gewisse Eigenständigkeit gehört bei den Grünen zum guten Ton – und in den vergangenen Wochen ist bei den Funktionären das Selbstbewusstsein radikal gewachsen: Dass die ÖVP jetzt den Koalitionspartner wechselt, ist nicht vorstellbar, das wäre ein strategischer Super-GAU, zumal inmitten der Krise, der eigentlichen Hauptaufgabe der Regierung.

Wie viele Mailadressen?

Hinzu kommen diese kleinen Geschichten, die am Image der ÖVP kratzen. Diese Woche wurde im Ibiza-U-Ausschuss Kurz’ Assistentin befragt – deren Schwager steckt als Hygiene-Austria-Geschäftsführer übrigens gerade inmitten des mutmaßlichen Masken-Betrugsskandals, ihr Gatte sitzt im Vorstand des Miteigentümers Palmers. Die enge Mitarbeiterin des Kanzlers erklärte, Kurz habe zwei offizielle und eine "halbprivate" E-Mail-Adresse – die aber ebenfalls auf "@bka.gv.at" endet. Kurz selbst hatte im U-Ausschuss noch gesagt, er habe lediglich zwei Mailadressen.

Ist das skandalös? Wohl weniger. Aber dieses Tricksen, das Operieren mit Halbwahrheiten hat einen Hautgout, der immer mehr Geschmack annimmt. Lustig sei das alles nicht, gesteht man auch im Team von Kurz ein. All die Vorfälle, ob Ermittlungen gegen Blümel, die Vorwürfe wegen einer angeblichen Urlaubseinladung von Kurz, die "Sippenhaftung" in der Sache um die womöglich gefälschten FFP2-Masken, das koste vor allem Zeit, aber auch Kraft. Der Kontrollverlust trifft die Kanzlerpartei wohl am härtesten. Damit können Kurz und seine Gefolgschaft noch nicht umgehen. (Katharina Mittelstaedt, Michael Völker, 6.3.2021)