Natalie Denk: "Gaming als eine extrem männlich konnotierte Tätigkeit ist ein Territorium, das in den Köpfen entstanden ist."

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Natalie Denk ist Leiterin des Zentrums für Angewandte Spieleforschung sowie der Universitätslehrgänge "Game Studies", "MedienSpielPädagogik", "Handlungsorientierte Medienpädagogik" sowie "Game-based Media & Education" an der Donau-Uni Krems. Anlässlich des Weltfrauentags spricht sie über noch immer vorhandene Gender-Barrieren in der Gamingszene, über Einstiegsmöglichkeiten für Frauen in die Szene und darüber, wie die Menschen in der Pandemie verstärkt die Liebe zu Spielen wie Ultimate Chicken Horse entdeckt haben.

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STANDARD: Jüngste Studien zeigen, dass der Frauenteil beim Gaming in Österreich bei rund 50 Prozent liegt. Welche Spiele spielen Frauen?

Denk: Ich bin der Meinung, dass man diese Frage eigentlich nicht stellen sollte. Die Frage impliziert, dass es diese Unterschiede geben muss. Und es gibt tatsächlich Studien, die auf unterschiedliche Spiele, unterschiedliches Spielverhalten oder Genrevorlieben stoßen. Meistens wird dabei aber nicht weitergedacht und die Frage gestellt, warum es diese Unterschiede eigentlich gibt. Das hat viel mit geschlechtsspezifischer Sozialisation zu tun. Wenn einem Mädchen immer vorgebetet wird, dass Mädchen gerne Casual Games und Handyspiele mögen, wird das Mädchen irgendwann gar nicht mehr annehmen, dass es sich überhaupt für Strategie- oder Shooterspiele interessieren könnte. Umgekehrt gilt das auch für Burschen, die dann vielleicht sagen: "Ich spiele keine Handyspiele. Ich bin ja ein Mann und muss Shooter spielen."

STANDARD: Spiegelt sich dieses stereotype Denken auch in der Spielgestaltung wider?

Denk: Man sollte Spiele gestalten, die gender-inklusiv sind, also diverse Spielewelten bieten. Wir haben in Studien festgestellt, dass sich Mädchen und Frauen genauso wie Burschen und Männer für Computerspiele interessieren. Die Spielerinnen- und Spielerlandschaft ist unglaublich divers, es spiegelt sich aber meist nicht in der Spielgestaltung wider. Man hat also noch Stereotype im Hinterkopf und sieht oft nicht, dass die Zielgruppe eigentlich divers ist.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die Studien, die ein unterschiedliches Spielverhalten von Frauen und Männern beschreiben?

Denk: Man darf nicht bloß die Frage stellen, wer wie viel Computerspiele spielt – sondern auch, wer Zugang zur Gamingkultur hat und wem dieser Zugang erschwert wird. Frauen haben einen anderen Zugang zur Gamingkultur. Das spiegelt sich auch in dem wider, wer auf Gaming-Events geht und somit sichtbar oder nicht sichtbar ist. Da in unserer Gesellschaft noch so viele Stereotype vorherrschen, gibt es Frauen, die einen erschwerten Zugang zu dieser Gamingkultur haben.

STANDARD: Welche Hürden gibt es hier?

Denk: Eine solche Hürde kann etwa sein, dass man sich als Frau gar nicht angesprochen fühlt. Das passiert auch im Bildungsbereich: Wenn ich in Schulen ein Projekt rund um Computerspiele vorstelle, dann heißt es vom Lehrpersonal, dass die Burschen wohl begeistert sein werden – für die Mädchen müsse man aber ein Alternativprogramm suchen. Und natürlich ist Sexismus noch immer ein Thema in der Gamingszene.

STANDARD: Wo liegen eigentlich die Wurzeln für das sexistische Verhalten?

Denk: Es gibt ein Territorium, das in den Köpfen entstanden ist: Gaming als eine extrem männlich konnotierte Tätigkeit. Dieses Territorium versucht man abzustecken und als "Geschlecht Mann" für sich zu beanspruchen. Dann kommen entsprechende Verhaltensweisen zum Vorschein, mit denen man diesen Spielplatz für sich behaupten möchte. Dann sagt man etwa über eine schlecht spielende Frau, dass sie schlecht spielt, weil sie eine Frau ist – das würde ich im Umkehrschluss über Männer ja auch nicht sagen.

STANDARD: Ist dieses toxische Umfeld der Grund dafür, dass Frauen eher Singleplayer-Spiele spielen?

Denk: Ja, es kann durchaus sein, dass man sich das gar nicht antun möchte. Weil man entweder selbst negative Erfahrungen hatte oder davon gehört hat. Man möchte ja spielen, weil es Spaß macht und eine Freizeitaktivität ist. Also spielt man lieber mit den Freundinnen. Zugleich muss man erstens sagen, dass es das toxische Verhalten nicht nur in der Gamingszene gibt, sondern allgemein auf Social Media. Und zweitens, dass die meisten Menschen in der Gaming-Community nicht toxisch sind. Die meisten Menschen sind nett, man findet gut einen Zugang. Es gibt schwarze Schafe, die es Frauen und Mädchen schwer machen. Aber es gibt auch immer mehr Männer, die sich positiv engagieren.

STANDARD: Was würden Sie also einer Spielerin raten, die auch in die Community einsteigen will?

Denk: Das ist auch eine regionale Frage. In Wien gibt es Lokalitäten, die man besuchen kann. Oder man findet Anschluss über Leute im Freundeskreis. Im ESVÖ setzt sich Yvonne Scheer als Genderbeauftragte stark ein und wirkt sehr inkludierend. Oder man schmeißt selbst einen kleinen Online-Gaming-Abend. Der Hype um Among Us hat zum Beispiel viele Menschen zum Spielen gebracht, die vorher nicht gemeinsam gespielt haben. Hat man das einmal ausprobiert, so macht man vielleicht mit dem Tabletop Simulator weiter und geht zu anderen Onlinespielen über. Mein persönliches Lieblingsspiel ist derzeit Ultimate Chicken Horse. Das kann man abends mit Kolleginnen und Kollegen spielen, dabei ein Bier trinken – man muss nicht Gamerin im engeren Sinne sein, um dabei Spaß zu haben.

Nintendo

STANDARD: Wie hat die Pandemie in Ihren Augen das Spielverhalten der Menschen verändert?

Denk: Die Außenwirkung gegenüber Computerspielen ist viel besser geworden. So hat zum Beispiel die WHO die Menschen unter dem Hashtag #PlayApartTogether aufgefordert, während der Lockdowns miteinander zu spielen. Das hätte man sich zuvor nicht vorstellen können. Zudem haben die Menschen gemerkt, dass digitale Spiele ihnen zu Hause Erlebnisse ermöglichen, denn im Gegensatz zu einer Netflix-Serie ist man beim Gamen selbst aktiv. Der zweite Aspekt ist, dass Spiele gemeinsame Erlebnisse mit anderen Menschen ermöglichen. Man will etwas zusammen unternehmen, also spielt man ein Spiel zusammen. Für viele Menschen hat das den Zugang zum Gaming verändert.

STANDARD: Ab wann sollte man Kinder in diesen Spaß inkludieren?

Denk: Ich bin als Bildungswissenschafterin der Meinung, dass man Gaming und Gamingkultur so früh wie möglich zum Thema im Unterricht machen sollte, da es ein wesentlicher Bestandteil unserer Gesellschaft ist. Eltern rate ich, das Thema in der Familie nicht auszublenden. Denn früher oder später wird das Kind auf die Idee kommen, dass es etwas spielen möchte. Ganz kleinen Kindern würde ich zwar noch kein Tablet in die Hand drücken, da sie in diesem Alter viel durch Haptik lernen. Aber mit fünf Jahren, also im Vorschulalter, ist es durchaus relevant, dass Kinder Computerspiele spielen. Wichtig ist dabei, Altersfreigaben zu beachten und ein gesundes Verhältnis zu Computerspielen aufzubauen. Spielen kann auch ein wertvoller Teil der Frühförderung sein: Wenn man dem Kind bestimmte Spiele auf dem Tablet anbietet, kann es dadurch auch viel lernen. Und auch Themen wie geschlechtsspezifische Sozialisation beginnen nicht erst, wenn einem der Eintritt in die Gamingszene erschwert wird – sondern eben schon viel früher. Deshalb muss man sich rechtzeitig damit auseinandersetzen. (Stefan Mey, 6.3.2021)