Was Pressevertreter beim Nationalen Volkskongress fotografieren dürfen und was nicht, ist streng reglementiert. Genauso streng soll es nach Pekings Willen bald auch in Hongkong zugehen.

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Was Ursache und was Wirkung ist, gerät in der historischen Nachschau oftmals in Vergessenheit – oder wird im Nachhinein von jenen definiert, die an den Hebeln der Macht sitzen. Als Wang Chen am Freitag vor dem Nationalen Volkskongress in Peking sprach, richtete er sich mit folgenden Worten an die 3.000 Delegierten des wichtigsten Gremiums im Land: "Die Randale und Turbulenzen, die in der Gesellschaft Hongkongs stattgefunden haben, zeigen auf, dass das bestehende Wahlsystem in Hongkong offensichtliche Lücken und Mängel hat." Wegen der Randale müssten nun Maßnahmen getroffen werden, um das Wahlsystem zu verbessern und "institutionelle Risiken" zu beseitigen. Das heißt: Hongkong soll von Hongkongern regiert werden, "mit Patrioten als dem Hauptteil".

Wang Chen, Vizevorsitzender des Ständigen Komitees – also der mächtigsten Entscheidungsträger Chinas –, sprach damit aus, was bereits seit einigen Wochen als neue Devise für die Sonderverwaltungszone ausgegeben wurde: Hongkong solle "von Patrioten regiert" werden.

Im Jänner hatte Chinas Präsident Xi Jinping höchstpersönlich damit begonnen, und zwar im Gespräch mit Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam. Im Februar hat der Chef des Hongkongbüros, Xia Baolong, den Sager bei einem hochkarätigen Symposium verwendet. Hongkongs Regierungschefin reagierte tags darauf affirmativ. Es sei "kristallklar", dass das Wahlsystem verändert werden müsse. "Ich kann verstehen, dass die Zentralregierung sehr besorgt ist." Die Situation solle "nicht noch schlimmer" werden.

Noch mehr Peking-Treue

Jetzt, zum Auftakt des siebentägigen Volkskongresses, wurden die Gerüchte offiziell. Am Freitag wurde ein Gesetzesvorschlag dem Volkskongress vorgelegt, bis zum Ende der Veranstaltung am kommenden Donnerstag soll das "Patriotengesetz" abgesegnet werden.

Was genau im Entwurf steht, ist noch nicht bekannt, zumal er noch nicht veröffentlicht wurde. Doch Wang Chen gewährte in seiner Rede einige Einblicke: Einerseits soll das Wahlkomitee, das Hongkongs Regierungschefin oder Regierungschef bestimmt, zahlenmäßig verändert werden – wohl mit dem Ziel, es mit noch mehr Peking-treuen Mitgliedern zu besetzen. Des Weiteren soll dem Komitee mehr Macht zukommen, "direkt an der Nominierung von Mitgliedern des Legislativrats" teilzunehmen, wie Chen erklärte. Der Legislativrat ist das Hongkonger Lokalparlament.

Außerdem soll ein Gremium eingerichtet werden, das künftig mögliche Parlamentskandidaten überprüft, ob diese – nach Pekings Sprech – "patriotisch" genug sind.

Das neue Gesetz zur Wahlreform stellt somit den nächsten Schritt in der bereits seit einigen Jahren laufenden Aushöhlung der Autonomierechte Hongkongs dar. Die Opposition, die ohnehin bereits sehr geschwächt ist, wird damit so gut wie ausgehebelt. Eigentlich wird die Sonderverwaltungszone der Volksrepublik demokratisch regiert. Seit der Rückgabe Hongkongs von Großbritannien an China 1997 genießt die Finanzmetropole demokratische Freiheiten wie freie Wahlen, Presse oder Meinungsäußerung. Im Vertrag mit Großbritannien wurde vereinbart, dass das auch noch 50 Jahre so bleiben sollte. Peking interpretiert den Passus aber als Zeitspanne, innerhalb deren der Übergang von Demokratie hin zur Anpassung ans Festlandsystem stattfinden soll.

Die jüngsten Massendemos gegen Pekings wachsenden Einfluss fanden 2019 statt, ausgelöst durch ein umstrittenes Auslieferungsgesetz. Das musste Regierungschefin Lam am Ende zurücknehmen.

Doch Peking erließ im Sommer 2020 das Nationale Sicherheitsgesetz, das die FestlandStandards einfach nach Hongkong brachte. Peking hat nun in Hongkong weitreichende Macht, zum Beispiel gegen Demokratieaktivisten vorzugehen – und tut das auch. Es war neben der Corona-Pandemie vor allem jenes Gesetz, das den Massenprotesten ein jähes Ende bereitete.

Wahlen verschoben

Für September 2020 geplante Parlamentswahlen wurden verschoben. Wann sie tatsächlich stattfinden werden, ist weiter offen: Verschiedene chinesische Medien berichten nun, dass im Zuge der Ankündigung der Wahlreform auch das Votum um ein weiteres Jahr verschoben würde.

Bezeichnend ist in dem Zusammenhang auch ein gerade eben erschienenes Ranking zu den freiesten Wirtschaftsstandorten der Welt vom US-amerikanischen Heritage Fund: Hongkong, das das Ranking seit 1995 anführte, scheint nun nicht mehr auf. Stattdessen wurde es der Volksrepublik China zugeführt, das auf Platz 107 liegt.

Was die Ökonomie betrifft, hat sich China trotz Pandemie hohe Ziele gesteckt: Mehr als sechs Prozent soll Chinas Wirtschaft 2021 wachsen, gab Premierminister Li Keqiang ebenfalls zum Auftakt des Kongresses an. Erreicht werden soll das, indem die heimische Wirtschaft und Innovationen gefördert werden. (Anna Sawerthal, 5.3.2021)