Viele reaktionären Tendenzen wurden durch den Ausbruch von Covid-19 zusätzlich verschärft, sagt die Philosophin Lisz Hirn im Gastkommentar.

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Der Rückzug ins Private ist keine Option.
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Das Virus lässt sich nicht infrage stellen, sehr wohl aber die Art seiner Bekämpfung. Seit die Regierung die ersten Maßnahmen zur Corona-Krisenbewältigung kommunizierte, drängt sich der Eindruck auf, dass sie hierfür absichtlich traditionelle Geschlechterrollen reaktiviert. Zwar galt der verordnete Rückzug für beide Geschlechter, aber die Erwartungen, die sich an die Frauen richteten, waren gänzlich andere als jene an die Männer. Der Balanceakt zwischen Beruf und Familie war schon in Normalzeiten schwierig. In Krisenzeiten ist es beinahe unmöglich, dass Frauen – und insbesondere Mütter – einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgehen können. Ihre soziale Vereinnahmung wird stets mit jenem konservativen Konsens legitimiert, der Care-Arbeit vornehmlich als "Frauensache" sieht. Und damit als unentgeltlich.

Die Erkenntnis, dass sich derartige Krisen insgesamt negativ auf die Gleichstellung auswirken, ist nicht neu. Bereits Analysen vergangener Sars- und Ebola-Epidemien belegen, wie schnell sich selbst bescheidenste Fortschritte verflüchtigen können. Im Angesicht der Pandemie und der an Fahrt aufnehmenden Klimakatastrophe schwindet jegliche Geschlechtergerechtigkeit mit der guten ökonomischen Ausgangslage dahin, die Letztere erst ermöglicht hatte. Die Furcht vor einem Backlash scheint also gerechtfertigt zu sein.

Unfaire Arbeitsteilung

Doch könnte uns diese Pandemie überhaupt in traditionelle Stereotypen zurückdrängen, wenn wir sie schon aufrichtig überwunden hätten? Was die Flut an aktuellen Studien zeigt, wissen wir seit langem. Bereits vor dem ersten Lockdown waren Hausarbeit und Kinderbetreuung ungleichmäßig aufgeteilt. Corona führt also nicht wieder zu, sondern verstärkt die bestehenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Selbst die progressivsten Paare teilten die Care-Arbeit nur so lange "fair" auf, wie institutionelle Kinderbetreuung verfügbar war. Sobald die berufliche Tätigkeit eingeschränkt werden soll, sieht die Sache anders aus.

Was Simone de Beauvoir schon vor Jahrzehnten heftig kritisierte, spiegelte sich in aller Deutlichkeit auch im Umgang mit der Pandemie wider. "Väter und Gesellschaft lassen die Frauen mit der Verantwortung für die Kinder ziemlich allein. Die Frauen sind es, die aussetzen, wenn ein Kleinkind da ist. Frauen nehmen Urlaub, wenn das Kind die Masern hat. Frauen müssen hetzen, weil es nicht genug Krippen gibt." Dabei richtete sich Beauvoirs Kritik nicht gegen die Mutterschaft oder die Männer an sich, wie man ihr gern ankreidet. Sie wandte sich vielmehr gegen die patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft, die den Frauen ungerechte Belastungen als ihr "biologisches Schicksal" verkaufen wollen. Freiwillige und gleichberechtigte Geschlechterbeziehungen sind nie nur das Produkt individueller Entscheidungen, sondern hängen in großem Maß vom politischen Willen und von den ökonomischen Voraussetzungen ab.

Ein Super-GAU

Konnten die Frauen, die in den Lockdowns des letzten Jahres ihren emanzipatorischen Super-GAU erlebten, darauf vertrauen, dass das politische Krisenmanagement ihre Interessen als Bürgerin und Arbeitnehmerin gleichermaßen ernst nehmen würde? Nein, konnten sie nicht! Es bleibt abzuwarten, welche Schlüsse junge Frauen aus ihren Beobachtungen ziehen und wie sich diese beispielsweise auf ihren Kinderwunsch auswirken werden. Die derzeit fehlende frauenpolitische Agenda wird Folgen haben, an denen sich zukünftige Familienminister werden abarbeiten müssen.

Warum stellen sich so wenige Frauen der Wahl zur Bürgermeisterin? Stefanie Ruep und Steffen Arora berichten.

Freilich kann man der Politik nicht für alles die Schuld in die Schuhe schieben. Es gab auch schon vor Ausbruch der Pandemie diejenigen, die den Rückzug in das häusliche Leben als Wahlfreiheit der jeweiligen Frau deklarierten. Sie schienen sich damit zu begnügen, zumindest formal gleichgestellt und symbolisch repräsentiert zu sein. Doch die Ungleichheit sitzt tiefer, als all die Grabenkämpfe um Quoten und das Binnen-I glauben machen. Und sie wird sich aller Voraussicht nach für die kommenden Generationen verschärfen. Aus diesem Grund kann es kein Recht auf Rückzug geben – nicht einmal für diejenigen, die es sich leisten könnten. Schon Beauvoir mahnte eindringlich davor, dass Frauen, die nichts fordern, beim Wort genommen werden. Es gibt kein richtiges Leben im pandemischen. (Lisz Hirn, 6.3.2021)