Klinisch-sauberes Vorsorgeseminar: Laura Stoll zerlegt in ihrem Video eine Cremeschnitte und irritiert das Publikum mit intimen Fragen.

Foto: Timtom

Vor einem Jahr musste das Brut-Theater sein Imagetanz-Festival pandemiebedingt abbrechen. Trotz der immer noch widrigen Umstände findet die diesjährige Ausgabe statt, und zwar online. Ein erzwungenes Experiment, das möglicherweise aber nicht nur eine aus der Not geborene Tugend bleibt.

Darauf lassen zwei kleinere Arbeiten von Nachwuchstalenten aus der Wiener Tanz- und Performanceszene hoffen, die das Festival einleiten: das Trio The first image was the outline of a shadow des Kollektivs PUC und eine Soloperformance aus der seit 2018 laufenden Questionnaire Series von Laura Stoll.

Ein Tanzstück in ein Video zu übersetzen gilt als echte Herausforderung, an der bereits etliche Wagnisse gescheitert sind. Die Tänzerinnen-Choreografinnen Maria Shurkhal, Anna Possarnig und Marina Rützler von PUC haben sich das trotzdem getraut und ihr neues Stück nicht einfach abgefilmt, sondern es einem Perspektivwechsel per Video unterzogen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Dämonisierung von Frauen

The first image was the outline of a shadow führt – aus zeitgenössischer Perspektive – drei scharfe Schnitte in die Mythen von Weiblichkeit ein. Der erste erlaubt einen kritischen Blick auf die "Kälte" des alten Mythos der Jungfräulichkeit. Der zweite legt die Dämonisierung unabhängiger Frauen frei, und ein dritter deutet eine Neuinterpretation des Motivs der Chariten (Grazien) an.

Obwohl diese Video-"Obduktion" knapp und konzis ausfällt, gelingt es den Künstlerinnen, einige diskursive Ansätze darzustellen, wie man aus dem Gefängnis der alten Virilitätskultur ausbrechen kann.

Regie führt der weibliche Blick, und die Choreografie ist geprägt von der Kritik an der patriarchalen Tradition, Tänzerinnen auf ihre Sexyness zu reduzieren. Dabei kommt das Trio ohne Narzissmus und didaktische Anmaßung aus. Filmtechnisch wird ein Do-it-yourself-Prozess gezeigt, dessen teilweise unebenes Ergebnis eindeutig zu den Qualitäten dieser Arbeit zählt.

Gespielt harmlos

Solche Wildheit fehlt bei Laura Stolls klinisch sauberem Solo-Video ganz. Mit Absicht, denn die junge Performerin stellt das Aseptische des Vorsorgetrends in der Gegenwartskunst aus. Mit Brille auf der Nase und Gummihandschuhen über den Händen zerlegt sie vor krankenhausblauem Hintergrund sorgfältig eine Erdbeer-Cremeschnitte in deren Bestandteile. Dabei stellt sie dem Publikum mit gespielter Harmlosigkeit intime Fragen: Wie es einem geht, ob man eine Lebensphilosophie hat, vielleicht gerade allein ist oder an den Teufel glaubt.

Das erinnert an die peinlichen Befragungen in der legendären Performance Quizoola!, die vor 25 Jahren von der Theatercompany Forced Entertainment uraufgeführt wurde. Dort verhörten die Darsteller einander gegenseitig, während Stoll sich direkt an ihre Zuschauer wendet. Antworten erhält sie nicht, ungerührt isst sie die Mehlspeise auf.

Beide Stücke wurden von der Wiener Plattform für Nachwuchskünstler Huggy Bears präsentiert und werden noch bis Ende März als Videos auf der Brut-Website gezeigt. Ab September sollen sie live im Wuk zu sehen sein. Weiter geht es bei Imagetanz zuerst mit einem Reigen aus kleineren Formaten, bevor Uraufführungen von u. a. Julia Müllner und Jaskaran Anand sowie eine Performance von Henrike Iglesias den Endspurt einleiten. (Helmut Ploebst, 8.3.2021)