Christian Thielemann dirigierte im pandemierbedingt schütter besuchten Musikverein, ließ es aber nicht an Meisterlichkeit fehlen.

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Ein Sonntag wie damals für die Wiener Philharmoniker: mittags eine Bruckner-Symphonie im Musikverein, abends eine Verdi-Premiere in der Oper. Gut, der Publikumsandrang ließ sich nicht mit präpandemischen Zeiten vergleichen. Nur ein paar Berichterstattende durften – nach erfolgreicher nasaler Penetration vor Ort – in den Musikvereinssaal und der Aufnahme von Anton Bruckners fünfter Symphonie unter der Leitung von Christian Thielemann beiwohnen.

An der Semperoper durfte der Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden im Februar nicht in großer Orchesterbesetzung proben – und zeigte sich darob erbost. Doch die "Wiener Verhältnisse" (Semperoper-Intendant Peter Theiler über die probentechnischen Möglichkeiten und Zustände hierzulande) erlauben solche großformatigen Unternehmungen, und so schreitet das Projekt der Gesamtaufnahme aller Bruckner-Symphonien mit Siebenmeilenschritten voran. Sollten die Salzburger Osterfestspiele nicht stattfinden dürfen, plant man, sich bereits am Palmsonntag dem symphonischen Frühwerk des Romantikers zu widmen.

Pracht mit kleinen Patzern

Die Interpretation der Fünften im abgedunkelten, unterkühlten Musikvereinssaal war, wenn man von einem spontanen Gebrechen bei den Geigen, Intonationsirritationen bei den Holzbläsern im Adagio und winzigen Patzern bei den Hörnern absah, eine Pracht.

Thielemann brachte bei seiner Deutung der Fünften das Runde ins Eckige, interpretierte zackige Melodielinien mit geschmeidiger Kantabilität, vermählte blumige Poesie und strenge Zucht. Der 61-Jährige ließ sogar den massiven Tutti des Blechs oft ein tänzelndes, schlenkerndes Moment innewohnen: samtene Stahlgewitter, atmende Klangkathedralen, Bruckner mit Swing.

Die antiextremistische, verweichlichende Akustik des Großen Saals trug das Ihre zum samtig-kuscheligen Bruckner-Erlebnis bei, dem es jedoch in keinem Augenblick an Transparenz, Vitalität und Präzision gebrach. Meisterhaft, kapellmeisterhaft, traumhaft. (Stefan Ender, 8.3.2021)