Benjamin Netanjahu befindet sich mitten im Wahlkampf.

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Dass sich so viele Augen auf eine Auslandsreise eines österreichischen Kanzlers richten, kommt nicht oft vor. Der Israel-Besuch von Sebastian Kurz sorgte in Europa für Schlagzeilen. Anders in Israel: Hier hielt sich das Medienecho auf den als "Impfgipfel" titulierten Besuch von Kurz und der dänischen Premierministerin Mette Frederiksen bei Israels Premier Benjamin Netanjahu in Grenzen.

Die drei haben sich in Jerusalem auf eine engere Kooperation bei der Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen gegen das Coronavirus verständigt. Es ist eine informelle Vereinbarung, und niemand weiß, ob sich auch der nächste israelische Regierungschef daran gebunden fühlen wird – sollte er nicht wieder Benjamin Netanjahu heißen. In Israel wird in zwei Wochen ein neues Parlament gewählt.

Teil der Vereinbarung ist die Einrichtung einer Forschungsstiftung, die mit 50 Millionen Euro dotiert werden soll. Damit sollen Projekte zur Impfstoffentwicklung gefördert werden.

Kein Vorreiter

Nun hat sich Israel bislang nicht als Vorreiter bei der Entwicklung von Sars-Impfungen hervorgetan. In der israelischen Regierung gibt es aber den Wunsch, sich zumindest teilweise unabhängig von ausländischen Anbietern zu machen. An mehreren Orten wird derzeit an möglichen Impfstoffen geforscht.

Schon recht weit fortgeschritten ist das Institut für Biologieforschung, das dem israelischen Verteidigungsministerium untersteht. Sein Covid-19-Impfstoff nennt sich Brilife und befindet sich in Phase II der klinischen Versuche. Nun macht den Forschern aber die relativ gute Durchimpfung der israelischen Bevölkerung zu schaffen.

Je mehr Israelis den grünen Pass in Händen halten, desto schwieriger wird es, Testpersonen für die klinischen Versuche zu finden. Die Aussicht, womöglich ein Placebo zu erhalten, schreckt ab. Israels Regierung beschloss daher, auch den Placebo-Empfängern den Pass auszustellen – ein umstrittener Schritt, da der Pass eigentlich nur für Immunisierte gedacht ist.

Wenige Freiwillige

Der ursprüngliche Zeitplan, Brilife im Sommer 2021 auf den Markt zu bringen, wird wohl nicht halten, deutete auch ein Spitzenbeamter des israelischen Gesundheitsministeriums zuletzt an. Je mehr Zeit vergeht, desto weniger Israelis kommen als Freiwillige infrage: Die, die dann noch nicht geimpft sind, sind entweder jünger als 16 – und dürfen daher auch nicht an Tests teilnehmen – oder Impfskeptiker und daher auch an einer Testteilnahme wohl eher nicht interessiert.

"In Israel ist es derzeit praktisch unmöglich, einen klinischen Versuch effektiv zu planen", sagt Jonathan Gershoni zum STANDARD. Der Virologieprofessor an der Universität Tel Aviv forscht selbst mit einem Team von sieben Wissenschaftern an einem möglichen Vakzin gegen Covid-19.

Ausland als Alternative

Das Problem, ausreichend Testkandidaten zu finden, wenn bereits andere Impfstoffe auf dem Markt sind, haben alle Impfstoffentwickler. Oft bleibe als einziger Weg der Gang ins Ausland – also in eine Weltregion, die beim Zugang zu Impfstoffen benachteiligt ist.

Gershoni betont, dass er an dem Impfgipfel nicht teilgenommen hat und die Ankündigung, einen 50-Millionen-Euro-Topf für die Impfstoffentwicklung bereitzustellen, nicht kommentieren will. Er schätzt das nötige Budget, um einen neuen Impfstoff zu entwickeln, präklinische Tests durchzuführen und den Impfstoff bereit für klinische Versuche zu machen, aber auf "mehrere Hundert Millionen Dollar".

Ein anderer Virologe, der namentlich nicht genannt werden will, hält den Vorstoß Netanjahus für "Populismus". Israels Medizinforschung gehöre etwa bei der Krebsforschung zur Weltspitze, bei der Virologie eher nicht. Zudem fehle es dem Land an einem gut ausgebauten Pharmasektor. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 7.3.2021)