Zum Frauentag fanden weltweit Demonstrationen statt, hier eine Kunstaktion in Israel.

Foto: AFP/JACK GUEZ

Wenn ich über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz lese – wie über einen jüngsten Fall in der Medienbranche –, steigt die Wut in mir hoch. Es ist auch meine Wut als Vater einer Tochter. Wut darüber, dass es noch immer Betriebskulturen gibt, die Erniedrigung von Frauen ermöglichen, ignorieren, zulassen.

Wut darüber, dass wir Männer noch immer nicht sensibel genug sind, sexuelle Belästigung oft noch nicht einmal wahrnehmen. Oder, wenn wir es tun, wir zu selten die Täter, unsere Kollegen und Vorgesetzten, in Schranken weisen. Wut darüber, dass wir in dieser Gesellschaft nicht uneingeschränkt solidarisch mit Frauen sind, die Belästigung erfahren und sich zur Wehr setzen.

Klare Normen über den gesetzlichen Rahmen hinaus

Dabei urteile ich nicht vom hohen Ross herab. Ich habe in den letzten Jahren eine differenziertere Perspektive eingenommen. Naiverweise dachte ich zuvor, es wäre schon nicht so schlimm mit der Belästigung, weil sie mir selbst ja nicht auffiel. Ich habe gelernt, dass es nicht ausreicht, wenn sich Führungskräfte anständig verhalten. Organisationen brauchen klare Normen, die über den gesetzlichen Rahmen hinausgehen.

Und diese Normen müssen dann auch eingehalten und durchgesetzt werden. Ein Verhaltenskodex ist keine bürokratische Stilübung, sondern ein wichtiges Instrument, um Menschen vor Belästigung zu schützen. Ein Unternehmen signalisiert damit, dass es sensibilisiert ist und bei Belästigung jeder Art den Opfern unterstützend zur Seite steht oder einschreitet. Mir ist auch bewusst geworden, dass wir Männer uns öfter vertrauensvoll zur Seite nehmen müssen: Als ich einmal unter vier Augen einem Kollegen gegenüber eine sexistische Bemerkung machte, kam er später auf mich zu und stellte klar, dass er sich vom Chef etwas anderes erwartete.

Erniedrigung ist niemals tolerierbar

Was kann ich als Vater tun? Meine beiden Söhne wissen, dass Erniedrigung und Diskriminierung von Frauen – und sei sie noch so unscheinbar – niemals tolerierbar ist. Wenn sie älter sind, werde ich ihnen erklären, dass Belästigung nichts mit sexuellem Verlangen zu tun hat, sondern mit dem Verlangen nach Macht und einem geringen Selbstwertgefühl des Täters; dass Erotik zwischen Mann und Frau auf Augenhöhe und durch Vertrauen entsteht und nicht durch Grapscherei.

Meiner Tochter versuche ich so viel Selbstbewusstsein mitzugeben wie nur möglich. Wenn sie älter wird, werde ich ihr versichern, dass sie immer auf mich zählen kann. Aber was schreibe ich da! Ich will gar nicht erst, dass es jemals so weit kommt, wenn sie den Berufswunsch Journalistin, Schauspielerin oder Sportlerin äußert (die drei Branchen habe ich nicht zufällig gewählt).

Ich will, dass meine Tochter arbeiten kann, wo immer sie will, ohne befürchten zu müssen, dass sie Opfer sexueller Belästigung wird. Dass wir 2021 überhaupt darüber diskutieren, ist traurig. Wir müssen anerkennen, dass wir als Gesellschaft noch nicht dort sind, wo wir hinsollen. Dass Frauen vor diesem Hintergrund den Mut aufbringen, ein ihnen widerfahrenes Unrecht öffentlich und unter Druck vor Gericht zu bringen, verdient großen Respekt, nicht nur heute am 8. März. (Philippe Narval, 8.3.2021)