Pretty Yende als Violetta an der Wiener Staatsoper.

Pöhn

Im Gegensatz zur Vorgängerin, die Giuseppe Verdi bei seiner "Traviata" im Sinne hatte, muss die aktuelle Reinkarnation von Violetta Valéry ihren Körper nicht hautnah auf dem Markt des zahlungskräftigen Begehrens anbieten.

Auf dem digitalen Marktplatz, den sie bewirtschaftet, ist sie zwar auch ein Objekt, das private Intimität gewinnorientiert einsetzt. Als Influencerin profitiert sie jedoch von der Scheinnähe, welche das Digitale suggeriert. Das bringt Reichweite und Celebrity-Status. Und den genießt Violetta als Partygeschöpf.

Augenbrauen kaufanregend

Natürlich sind Scheinwerferlicht und bediente Aufmerksamkeit ziemlich anstrengend. Violetta, das It-Girl, wirbt nicht nur für Parfums. Großformatig leuchten in der Wiener Staatsoper auch ihre Augenbrauen kaufanregend, während das Orchester Melancholie und Festlichkeit verbindet. Geht es zum Herrn Doktor, ist Violetta bei der Blutabnahme zu sehen, der eine Tumordiagnose folgt. Es ist ein gläserner Mensch, der bei einem Event in Paris Alfredo trifft.

Regisseur Simon Stone aktualisiert nicht platt; aus Tuberkulose wird nicht einfach Krebs. Er inszeniert auf einer bisweilen knatternden Drehbühne eine lebensnahe Tragödie, in der die Party- zur Todeszone wird. Elegant wird das Geschehen in ein Wechselspiel aus Video, großflächig projizierter Social-Media-Kommunikation und sparsam angedeuteten konkreten Orten eingebunden.

Ein Traktor reicht

Zentrum ist eine weiße Spielfläche (Bühne: Robert Cousins), auf der etwa das romantische Paris der Verliebten nicht architektonisch prachtvoll wuchern muss. Violetta schlendert da an einem Denkmal von Jeanne d’Arc vorbei oder legt bei der Fastfood-Bude "Paristambul" eine Pause ein. Optisch reduziert auch Violettas Landleben mit Alfredo. Ein Schubkarren und ein Traktor genügen (die geplante echte Kuh durfte nicht sein), um das Milieu zu beschreiben.

Auch hier aber – als Kontrast – Videoästhetik in Form projizierter Chatkorrespondenz und abgebildeter Zahlenkolonnen: Violetta hat sich shoppingmäßig verausgabt, ihr Konto ist überzogen, zu sehen sind Mahnschreiben, die Pleite naht.

Yende im Zentrum

Simon Stone verbindet in diesen Momenten starke Bilder mit seiner eigenen Erzählung. Zugleich schafft er es, Pretty Yende in die Bilderflut einzubinden, die als Violetta Valéry das energetische Zentrum der Inszenierung bildet.

Ob als Celebrity oder als dahinsiechende Frau, die mit verzweifelter Wut gegen die Folgen der hoffnungslosen Diagnose ankämpft: Es kommt zur Verschmelzung von Dramatik, Koloratur (weitestgehend sicher) und der Darstellung von Überschwang, der zu Todesangst wird. Zum Finale hin, bei dem Stone Violetta videomäßig die idyllischen Momente einer nun endenden Zweisamkeit mit Alfredo nacherleben lässt, findet Yende auch zu diskreter Lyrik intimer Töne. Da beruhigt sich das leichte Flattern in ihrer Stimme.

Klarheit und Leichtigkeit

An ihrer Seite Juan Diego Flórez (als Alfredo): Wenn es darum geht, Violetta anzuschmachten, ist der Tenorstar in seinem gefühlsprallen Element. Seine klare, sicher geführte Stimme wird edel zum Einsatz gebracht. An Volumen jedoch fehlt es mitunter naturgemäß. Da wirkt Flórez (der für Frédéric Antoun einsprang) wie ein virtuoser Halbschwergewichtler, der versucht, im Schwergewicht zu punkten.

Darstellerisch ist Flórez etwas flexibler unterwegs als der kultiviert klingende Igor Golovatenko (als Giorgio Germont). Beide Herren wirken mitunter allerdings, als wären sie aus einer fernen Opernzeit herübergebeamt worden, als zwischen Arienabend und szenischer Umsetzung kaum ein Unterschied bestand. Da hat Stone nicht besonders viel Detailarbeit geliefert.

Donald-Duck-Maske

Auf dem Maskenball, bei dem Alfredo mit Donald-Duck-Maske auftritt, ging es dann doch lebendiger zu als zwischen diesen beiden, die Vater und Sohn waren. Der gute Staatsopernchor wirkt quirlig in Szene gesetzt. Und immerhin: Bei den kleineren Rollen herrscht gutes Niveau, auffallend kantabel Doktor Grenvil, also Ilja Kazakov.

Da Dirigent Giacomo Sagripanti, Hausdebütant, mit dem Staatsopernorchester für einen kompakten, sängerfreundlichen Rahmen sorgte, ereigneten sich auch Momente szenisch-musikalischer Intensität. Wenn Yende beteiligt war. Orchestral passte also so weit alles, ohne in Bereiche des Besonderen abzuheben.

Moderne liegt ihm

Stone inszeniert in der nächsten Saison Bergs "Wozzeck". Gut so. Modernes liegt ihm, denkt man an seine Salzburger Regie bei Reimanns Lear. Sie war stringenter als diese Traviata, die 2019 an der Opéra National de Paris entstand. (Ljubiša Tošić, 8.3.2021)