Pirker wurde bereits mehrfach für ihre Arbeit in der Forschung ausgezeichnet.

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Johanna Pirker lacht gerne. Im Gespräch mit dem STANDARD, auf Fotos und in ihren zahlreichen Talks und Unterrichtseinheiten. Vielleicht liegt es an den ihr so wichtigen Themen, denen sie sich beruflich seit Jahren widmet. Es geht um Spieleforschung, Virtual Reality (VR) und künstliche Intelligenz. Pirker brennt für diese Themen und gibt ihre Leidenschaft gern an Studenten der TU Graz weiter. DER STANDARD hat sich mit der vielseitigen und unter anderem als "Forbes 30 unter 30" ausgezeichneten Frau unterhalten.

STANDARD: Sie machen beruflich einige Sachen parallel. Können Sie bitte kurz Ihre aktuellen Schwerpunkte für uns zusammenfassen?

Pirker: Ich bin auf der TU Graz Assistant Professor und lehre und forsche im Bereich Game-Development. Zusätzlich habe ich eine Forschungsgruppe gegründet, das Game Lab Graz. Dort erforschen und entwickeln wir Games, sowohl im Entertainment-Bereich als auch für Bildungszwecken. Wir machen hier auch Datenanalyse von bekannten Titeln wie Destiny oder League of Legends, sowohl was das Miteinander beim Spielen betrifft als auch im Bereich neue Spielerfahrungen. Da haben wir zuletzt auch eine Förderung in Form des Epic Mega Grants bekommen, das direkt von Epic Games kommt.

Außerdem bin ich Obfrau vom Verein Game Development Graz, der sich zum Ziel gemacht hat, die lokalen Spieleentwickler zu fördern. Hier organisieren wir etwa die Game Dev Days, wo sich nationale Vertreter mit internationalen Gästen vernetzen können. Der Event kam immer sehr gut an, auch wenn wir ihn seit letztem Jahr leider nur online abhalten können.

STANDARD: Was treibt Sie aktuell in Ihrem Beruf am meisten an?

Pirker: Das sind mehrere Sachen. Mich motiviert, wenn unsere Forschung eine positive Message über Videospiele verbreitet. Games werden in unserer Gesellschaft noch immer aus einem falschen Blickwinkel betrachtet. Mit positiver Forschung wollen wir Potenzial aufzeigen, klären, wer wirklich die Spieler sind, und gegen Klischees arbeiten. In der Lehre geht es darum, mehr Spieleentwicklung nach Österreich zu bringen. Es gibt hier viele talentierte Entwickler.

STANDARD: Dennoch kommen wenige bekannte Projekte aus Österreich. Woran scheitert es?

Pirker: Auf der einen Seite gibt es noch wenig Aufmerksamkeit vonseiten der Politik. In Kanada gibt es viele Fördertöpfe und Steuerbegünstigungen in diesem Bereich. Kein Wunder, dass dort jeder große Entwickler riesige Standorte aufgebaut hat. Zudem kämpfen wir hier noch immer um die generelle Stellung von Spielen in der Gesellschaft.

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STANDARD: Können Sie das bitte ausführen?

Pirker: Games gehören eindeutig in den Bereich der Kultur. Computerspiele sind deshalb so spannend, weil sie die Schnittstelle zwischen Technik, Innovation und Kunst beziehungsweise Kultur sind. Games sind die Megaform aus allen spannenden Bereichen, die unsere Zukunft formen werden. Ich weiß auch nicht, ob Bereiche der Gesellschaft das bewusst ignorieren oder einfach nicht sehen wollen. Bei Games werden meist nur Shooter wahrgenommen, aber ich sage ja auch nicht, bei Filmen gebe es nur Pornos. Es gibt auch Dokumentarfilme, Liebeskomödien und so weiter. Bei Games ist es genauso. Zudem ist kein Medium so interaktiv und kann uns so gut Empathie lehren. Spiele zwingen uns zu Entscheidungen, mit deren Konsequenzen ich im Spiel dann auch leben muss. Das muss ich bei keinem anderen Medium.

STANDARD: In einem Interview haben Sie gesagt, die Gaming-Industrie sei zu einseitig. Ähnliche Spiele kommen aus ähnlichen Ländern. Es braucht mehr Diversität. Ist das ein Grund für die Problematik?

Pirker: Ich habe früher auch immer die großen Blockbuster gespielt, etwa GTA oder Skyrim. "A year playing the world" war ein Hobbyprojekt von mir. Damit wollte ich mich bewusst einmal aus meiner Komfortzone rausbewegen. Spiele von anderen Kontinenten spielen. Da war ich auf einmal in der Situation, mit einem schwarzen Charakter ein Spiel zu beginnen. Das war in dieser Gegend völlig selbstverständlich, weil es um einen schwarzen Helden einer lokalen Sage ging. Bei westlichen Spielen ist der Standardcharakter immer weiß, meist männlich. Das war einer von vielen Momenten während dieser Reise, wie ich die Gaming-Welt aus völlig neuen Perspektiven entdecken konnte.

Spiele sollten deshalb genauso ein kulturelles Gut sein, weil sie viel über die Region und die Menschen verraten können. Meiner Meinung nach sollten auch lokale Spiele in sämtlichen Reiseführer vorkommen. Neben dem besten Lokal und der wichtigsten Sehenswürdigkeit: Welche Spiele werden hier entwickelt und gespielt? Das kann so viel über die Menschen verraten.

STANDARD: Gibt es etwas, das Sie sich für die Zukunft der Games-Branche wünschen?

Pirker: Diversität und Inklusion müssen in den Entwicklerstudios Einzug halten und damit – ich glaube, das hängt eng zusammen – auch in die Spiele selbst. Ein simples Beispiel: Habe ich in der sonst so männerlastigen Branche eine Frau im Team, fällt es wohl eher auf, ob bestimmte Textzeilen sexistisch wahrgenommen werden können. Spiele profitieren von Diversität, und es wird niemandem etwas genommen, wie manche behaupten.

STANDARD: Sie haben es angesprochen: Die Games-Branche ist sehr männerdominiert. Hatten Sie Ihrer Meinung nach zusätzliche Hürden zu nehmen, weil Sie eine Frau in der Szene sind?

Pirker: Ja und nein. Man kämpft als Frau in einer solchen Branche sicher mehr – hat das Gefühl, man müsste sich mehr beweisen. Ich habe auch viel Unterstützung erfahren. Sowohl in der Informatik als auch in der Games-Branche ist der Wunsch sehr groß, die Gender-Balance zu verbessern. Die Schattenseite gibt es natürlich genauso. Durch diese gezielte Förderung von Frauen muss man sich auch oft den Vorwurf gefallen lassen, dass man bestimmte Dinge nur deshalb erreicht hat und gefördert wurde, weil man eine Frau ist. Das ist extrem traurig, wenn dann mehr auf das Geschlecht geschaut wird als auf die tatsächliche Leistung der Person. Am Ende des Tages hat dich nämlich genau diese Leistung dorthin gebracht, wo du jetzt bist, und das fällt dann leider manchmal durch die Wahrnehmung mancher.

Mit ihren Studenten auf der TU Graz kann Pirker gerade nur online kommunizieren.
Foto: Matthias Rauch

STANDARD: Dennoch ist es schwierig, diese Gendergleichheit in bestimmten Bereichen herzustellen, selbst wenn man das möchte. Die von Ihnen angesprochene Informatik ist sicher ein gutes Beispiel?

Pirker: Absolut. Das fängt schon in der Ausbildung an. Der Schnitt ist sehr niedrig. Ich hatte selbst in der Informatik keine einzige Frau als Unterrichtende. Es fehlen also schon einmal die Vorbilder. Es ist deshalb so wichtig, dass Frauen in Führungspositionen sichtbar sind. Junge Mädchen müssen sehen, dass es möglich ist. Hier muss auch an der Kommunikation vonseiten der Ausbildungsstätten gearbeitet werden. Was ist Informatik? Was macht man im Game-Development?

STANDARD: Passiert Aufklärung in diesem Bereich?

Pirker: Viel zu wenig. Ich nehme in meinem Game Lab immer wieder Praktikantinnen auf, damit sie sehen, was wir hier tun. Aber das ist Handarbeit. Es muss bei den Eltern und in der Schule anfangen. Coding oder digitale Erziehung muss in den Lehrplan, damit hier mögliche Hürden früh überwunden werden.

STANDARD: Ist Sexismus ein Problem in der Branche?

Pirker: Leider ja. Wichtig ist, dass man das immer gleich anspricht. Diese Punkte müssen sich ändern. Frauen müssen sich sicher fühlen. Ich musste ja wegen Corona meine Lehreinheiten auf Twitch verlagern, und das war schon ein mulmiges Gefühl, weil wir ja auch offen für alle sind, das heißt: Jeder kann in den Stream einsteigen. Twitch ist ja auch dafür bekannt, dass dort Sexismus ein Problem ist. Dann ist es auch passiert, dass es Beleidigungen in meine Richtung im Stream gab, aber die Studenten und Zuseher haben sich sofort gemeldet und sind dagegen mit Kommentaren vorgegangen. Genau das ist nötig.

Es muss klar sein, dass dieses Verhalten in unserer Gesellschaft nicht mehr akzeptiert ist. Deshalb muss man es ansprechen und darf es nicht ignorieren. Das bleibt mit Sicherheit ein schwieriges Thema, sicher auch wegen der Anonymität im Netz.

Pirker setzt sich stark für die Vernetzung in der heimischen Gaming-Szene ein.
Foto: Matthias Rauch

STANDARD: Ein letztes Thema: Sie forschen viel im Bereich VR. Was ist hier in den kommenden Jahren zu erwarten?

Pirker: VR wird eine ganz neue Form des Entertainments, die da auf uns zukommt. Durch Games können wir Dinge lernen, die wir sonst nicht lernen können, und VR gibt uns zusätzlich das Gefühl, dass man wirklich in einer anderen Welt ist. Die technischen Hürden fallen auch zunehmend. Bei manchen VR-Brillen benötigt man keinen PC mehr und keine Kabel. Unterstützt vom Bildungsministerium haben wir zuletzt ein Physiklabor entwickelt, das einem sehr teuren Physik-Set-up nachempfunden war. Man konnte alle Objekte ausprobieren, durch die Controller hatte man auch haptisches Feedback. Das kam sehr gut bei allen Testpersonen an.

Generell müssen wir es schaffen, Menschen durch VR Dinge zu ermöglichen, die sie sonst nicht machen könnten. So werden Menschen in einem Rollstuhl eine Bergreise machen können; Pandemien werden einen nicht mehr davon abhalten, Orte zu besuchen. Die Möglichkeiten sind grenzenlos.

STANDARD: Haben Sie Games-Empfehlungen, die Sie selbst sehr berührt haben?

Pirker: The Dragon Cancer ist so eine persönliche Geschichte rund um ein Kind, dass mit einem Jahr Krebs diagnostiziert bekommt. Als Spieler ist man in der Rolle der Eltern und muss mit der Situation umgehen. Path Out ist ein Vorzeigeprojekt, nicht nur weil es aus Österreich kommt, sondern auch aufgrund der Thematik. Man schlüpft in die Rolle eines jungen Syrers, der 2014 aus dem Kriegsgebiet flüchtet. This War of Mine erklärt die Wirren des Krieges, aber nicht aus der Sicht eines Soldaten, sondern in der Rolle der Zivilbevölkerung.

(Alexander Amon, 8.3.2021)