Roger Federer spielt gerne und sehr gut Tennis. Nach zwei Knieoperationen und einer langen Pause kehrt der Schweizer zurück, um noch einmal anzugreifen.

Foto: AFP/GRAY

Wäre der Tenniszirkus eine Homeparty, würde jetzt die große Hektik ausbrechen: nervöses Herumgerenne, die letzten Langschläfer vom Sofa und dann aus dem Haus werfen. Die Flaschen müssen noch weg, die Zigarettenstummel könnte man im Klo verschwinden lassen. Wenn es sich ausgeht, noch einmal staubsaugen. Jeder Handgriff muss sitzen, keine Fehler – und alles zack, zack. Denn: Papa kommt nach Hause.

Wenn Roger Federer beim Tennisturnier in Doha am Mittwoch nach mehr als einem Jahr Pause auf die Tour zurückkehrt, geht er in seine 23. Saison als Tennisprofi. Im August wird er vierzig Jahre alt, sein Debüt auf der Tour feierte der Schweizer im Juli 1998 in Gstaad. Australian-Open-Semifinalist Stefanos Tsitsipas war da noch nicht einmal geboren.

Federer kann, ja will es nicht lassen. Er geht in Doha auf seinen 104. Einzeltitel los. Für ihn stellt sich die Frage "Was kann ich noch?", für Beobachter "Was kann er noch?", für seine Gegner "Was will er denn noch?".

"Ich spiele fürs Leben gerne Tennis", sagte Federer, aktuell Nummer sechs der Weltrangliste, im Februar dem Schweizer Rundfunk. Und: "Mein Knie bestimmt, wie lange ich noch spiele." Das große Ziel für das Jahr ist das Turnier, bei dem er seine größten Erfolge, also acht Grand-Slam-Titel, feierte: "Ich hoffe, in Wimbledon bei 100 Prozent zu sein, und dann geht die Saison richtig los für mich", sagte er noch vor dem ersten Service in Doha.

Federer, Roger Federer

Die Karriere des Sohns eines Schweizers und einer Südafrikanerin ist ein Querschnitt durch den Tennissport der vergangenen 20 Jahre, er hat alles erreicht, was es zu erreichen gab. Und noch vieles mehr. 20 Grand-Slam-Turniersiege, 103 Einzeltitel, 310 Wochen als Nummer eins der Weltrangliste, 1242 Siege stehen lediglich 271 Niederlagen gegenüber, fast 130 Millionen Euro Preisgeld. Federer ist ein Mann der Superlative, matcht sich mit Novak Djokovic und Rafael Nadal um das fragwürdige Abzeichen, der beste Tennisspieler aller Zeiten zu sein. Und könnte seinen Kontrahenten dabei nicht unähnlicher sein.

Während Djokovic sich als Meister der Defensive und der Fettnäpfchen etablierte und Nadal durch seine Power und seine Zwänge auf dem Platz herausstach, fand Federer neben seiner Genialität auf dem Court mit den Jahren zu einer fast schon unangenehmen Souveränität. Der Schweizer ist der große Sir im Männertennis, eine Art James Bond oder Lotte Tobisch des Sports. Keine Mätzchen, keine Skandale, keine Fehltritte – selbst im Rampenlicht der Niederlage blieb der Vater von vier Kindern höflich, lobte den Gegner, suchte keine fadenscheinigen Ausreden, gab sich selbstkritisch. Das klingt fad, ist in seiner Beständigkeit aber bemerkenswert. Früher, also in einer längst vergangenen Zeit, zuckte er immer wieder aus, war fast ein Rüpel. Ein Psychologe sollte helfen: "Meine Eltern haben damals gesagt: ‚Wenn du so weitermachst, kommen wir nicht mehr mit dir auf Tour, das ist ja peinlich.‘ Es war ein extrem langwieriger Prozess", erinnerte sich Federer in einem Interview einmal.

Abgelöst

Aber was macht der Mann aus Basel so gut? Der König beginnt am Boden zu regieren: Federers Beinarbeit ist überragend, seine Position auf dem Platz und zum Ball eröffnet ihm alle Möglichkeiten. Der Rest ist eine blitzsaubere Schlagtechnik, ein früher Treffzeitpunkt und eine ausgeprägte Spielintelligenz. Die Kirsche auf dem Cocktail: Federers Service ist eine Macht, nicht unbedingt durch Tempo, sondern Variantenreichtum. Er kann alles und sieht dabei auch noch aus wie aus dem Tennislehrvideo. Federers Eleganz gewinnt zwar keine Spiele, befeuert aber die Bewunderung für ihn.

Vor 406 Tagen spielte der Schweizer sein bisher letztes Match, er verlor bei den Australian Open gegen Djokovic. Es folgten zwei Knieoperationen. Und weil die Tenniswelt nicht stillsteht, knackte Djokovic just vor Federers Comeback dessen Rekord als Weltranglistenerster: Der Serbe steht insgesamt 311 Wochen an der Spitze.

Tennis TV

Das Alter des Erfolgs

Schon öfters ward der König totgesagt, immer wieder aber kehrte er zurück. Mit 39 Jahren reiht er sich ein: Tom Brady (43) gewann 2021 den Superbowl, Chris Froome (35) will wieder bei der Tour de France triumphieren, Zlatan Ibrahimovic (39) könnte Milan zum Meistertitel in Italien schießen. Alter schützt also vor Erfolgen nicht.

Federer selbst übt sich in Eleganz: "Wenn man etwas in seinem Leben am besten kann, will man das nicht mehr aufgeben. Für mich ist es Tennis."(Andreas Hagenauer, 8.3.2021)