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Das britische AKW Hinkley Point verschlingt – wie die meisten anderen neuen Reaktoren – viele Milliarden mehr als geplant.

Foto: REUTERS/Toby Melville

Es tut sich was in Sachen Atomkraft. Zehn Jahre nach dem Unglück in Fukushima ist der damit verbundene Rückschlag für den Energieträger langsam überwunden, der zu einem Rückgang der Kernenergie auf einen Anteil von zehn Prozent der weltweiten Stromerzeugung mit beigetragen hat. Die Kernenergie entwickelt sich allerdings höchst unterschiedlich. Während Staaten wie Deutschland, die Schweiz, Italien und Belgien aussteigen, geben andere Gas. Es sind in erster Linie Länder wie China, Russland und Indien, die ihren riesigen Energiedurst auch mit AKWs stillen wollen.

Was auch anderswo zu vermehrten Ambitionen führt: der Klimaschutz. Die angepeilte Reduktion der Treibhausgasemissionen beflügelt die CO2-freie Stromerzeugung via Kernspaltung – trotz der ungelösten Frage des radioaktiven Restmülls. Auch die USA unter Joe Biden wenden sich stärker der Kernkraft zu, die parallel zu Windrädern und Solarenergie forciert wird, um den Klimawandel zu bremsen. Die Energiewende allein mit dem Ausbau der Erneuerbaren anzutreten zu wollen könnte ins Auge gehen, warnen viele Experten.

Es geht um den richtigen Mix

Diese Ansicht vertritt auch der Kernenergie-Experte Holger Rogner, der am Laxenburger Forschungszentrum IIASA tätig ist. "Es geht um den richtigen Mix, damit unstete Energie aus Windrädern und Solaranlagen ausgeglichen wird", sagt Rogner, der früher in der Internationalen Atomenergieagentur tätig war. Nachsatz: "Mit erneuerbarer Energie ist das Ziel, den Anstieg der Temperatur auf 1,5 Grad zu begrenzen, nicht zu schaffen."

Große Pläne

Die Anstrengungen in die Richtung sind global enorm: Gut 100 Reaktoren sind derzeit weltweit geplant, allein China will in den nächsten acht Jahren 44 Atomkraftwerke errichten. Doch die Prognosen haben einen Haken: Bombastische Projekte sind kaum mehr zu handeln, die Bauten verzögern sich und werden viel teurer als geplant.

In China wird Kernkraft kräftig ausgebaut – im Bild der Reaktor Fujian Fuqing.
Foto: Imago

Einige Länder können ein Lied davon singen. An der Errichtung des Reaktorblocks Flamanville 3 in der Normandie wird seit 2007 gewerkt, vor 2023 ist keine Inbetriebnahme realistisch. Die erwarteten Baukosten haben sich über die Jahre auf zwölf Milliarden Euro annähernd vervierfacht. Nicht viel besser gestaltet sich die Entwicklung bei den Kernkraftwerken Hinkley Point in Großbritannien und Olkiluoto 3 in Finnland. Die Steuerzahler müssen für die Projekte tief in die Tasche greifen, denn privatwirtschaftlich sind sie nicht zu stemmen.

Keine Renaissance

Die vielfach ausgerufene Renaissance der Kernkraft ist auch deshalb verfehlt, weil zwischen Plänen und Inbetriebnahme von AKWs Welten liegen. Im Vorjahr beispielsweise gingen weltweit nur zwei Reaktoren ans Netz. Und bei den großspurigen Plänen ist Rogner vorsichtig: Er kalkuliert nur mit den tatsächlich in Bau befindlichen Meilern, und von denen gebe es rund 50.

Allein schon wegen des radioaktiven Restmülls steht Atomkraft unter Beschuss. Vom Unfallrisiko ganz zu schweigen.
Foto: EPA/Ronald Wittek

Nach Rogners Einschätzung sinken die Atomkraftkapazitäten in den nächsten 20 bis 30 Jahren um zehn bis 15 Prozent. Das ist eine deutlich niedrigere Annahme als jene der Internationalen Energieagentur, die einen geringen Anstieg in den nächsten beiden Jahrzehnten erwartet. Viel zu wenig sei das für den Klimaschutz, meint die Pariser Institution: Immerhin habe Atomkraft in den letzten Jahrzehnten fast so viel CO2 eingespart, wie die Menschheit in zwei Jahren in die Luft bläst.

Hoffnung liegen in Mini-AKWs

Einen Hoffnungsschimmer gibt es freilich – aus Sicht der Befürworter der Kernkraft: Das Zauberwort lautet Mini-AKWs oder im Fachjargon SMR (Small Modular Reactor).

Sie sind viel kleiner als herkömmliche Atomkraftwerke, werden vorgefertigt und dann – je nach Bedarf – in Reihen aufgestellt oder auf Schiffen betrieben. Mit weniger spaltbarem Material seien sie auch sicherer, meint Rogner. Ein weiterer Vorteil: Sie eigneten sich mit einer Leistung von rund 300 Megawatt im Gegensatz zu großen AKWs ideal für den Ersatz von Kohlekraftwerken und als Ergänzung, wenn keine Sonne scheint oder kein Wind weht.

Gates investiert kräftig

Die USA setzen schon lange auf die SMRs, auch Bill Gates investiert in die Technologie, Großbritannien fördert die Entwicklung des Triebwerkkonzerns Rolls-Royce massiv. Experte Rogner ist optimistisch. Sein Urteil: "Small is beautiful."

In Österreich ist Atomkraft ohnehin kein Thema, derzeit wird gegen die Errichtung einiger neuer Reaktoren in den Nachbarländern mobil gemacht. Was meint Experte Rogner zur massiven Ablehnung hierzulande? Anlässlich des großen Anteils der Wasserkraft sieht er keinen Bedarf für Atomenergie, fügt aber hinzu: "Österreich sollte anderen Ländern, die Kernkraft benötigen, nicht so militant dreinreden." (Andreas Schnauder, 10.3.2021)