Kurzfristig ist man natürlich sehr erstaunt – und auch entrüstet – über die freimütigen Bekenntnisse von Studenten, die sich im Studium durchschummeln, indem sie Teile ihrer Arbeiten von anderen verfassen lassen oder selbst hemmungslos abschreiben. Und besonders erstaunlich wirkt der Mangel an Unrechtsbewusstsein, wenn jemand hinter vorgehaltener Hand davon berichtet oder auch vor allen Augen bloßgestellt wird.

Niemand würde das gutheißen. Genauso verurteilt jeder, dass beim Dieselskandal geschummelt wurde, außer den Politikern, die keine Konsequenzen – wie den Entzug der Zulassung von Diesel-Schummlern – setzen, das täte ja weh. Den Konzernen sowieso, vor allem aber, den Diesel-Fahrern. Die fänden das nicht gar so toll, wenn sie ihr Auto plötzlich stehen lassen müssten, weil es die gesetzlichen Normen nicht erfüllt.

Da drücken wir doch lieber kollektiv alle Augen zu.

Die meisten Fußgeher halten eine rote Ampel mehr für eine Empfehlung als für ein Gebot und manche Autofahrer halten es mit "dunkelgelben" Ampeln und Tempolimits ähnlich.
Foto: imago/Jürgen Ritter

Denn: Ein bisserl rechnet man in Österreich schon damit, dass man mit einer kleinen Schummelei ganz gut durchkommt – böse findet man es nur bei anderen.

In der Schule hat es wohl jeder gemacht. Und erstaunlich viele Mitbürger schummeln sich bis zum Pensionsantritt durch – dass dieser allzu häufig vor dem gesetzlichen Pensionsalter stattfindet, wen kümmert es wirklich? Und hat nicht jeder schon einmal den einen oder anderen Tag krankgefeiert, ganz unabhängig davon, dass der Gesundheitszustand das nicht wirklich indiziert hätte?

Schlampiger Umgang

Ja, eh. Und dass wir es mit vielen weiteren Vorschriften nicht so ernst nehmen, wenn wir sie nicht einsehen oder rundweg für sinnlos halten, ist nicht erst seit den pandemiebedingten Regelungen offensichtlich geworden: Die meisten Fußgeher halten eine rote Ampel mehr für eine Empfehlung als für ein Gebot, wenn kein Auto in Sicht ist – und manche Autofahrer halten es mit "dunkelgelben" Ampeln und Tempolimits ähnlich. Ein leicht schlampiger Umgang mit Recht und Gesetz gehörte schon immer zum österreichischen Selbstverständnis – selbstverständlich in der besten Absicht, das "Richtige" und "Gerechte" zu erreichen, aber eben auf "unbürokratische Weise", wie Politiker (unter Applaus der Medien) bisher oft versprechen.

Und natürlich soll es "menschlich" zugehen – sagt jeder, der eine Geschwindigkeitsbeschränkung missachtet hat und der Strafe entgehen will. Manche sagen es auch, wenn es darum geht, Abschiebungen zu verhindern – da sollten wir doch besser nicht "so streng" sein und ein Auge zudrücken. Da ließen sich doch gute Entschuldigungen finden – ebenso für Freunderlwirtschaft, Schnellfahren oder womit man sich sonst gerade durchschummeln will.

Erst mit Österreichs EU-Beitritt ist ein Umdenken eingeleitet, genauer: erzwungen worden. Langsam, aber sicher, sickert ins Bewusstsein, dass Formalvorschriften unbedingt einzuhalten sind – nicht nur die Protokolle der diversen parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zeigen, dass da noch Nachbesserungsbedarf und Gewissenserforschung bei den Entscheidungsträgern gefragt sind. Nein: Politiker, Beamte und Manager dürfen sich nicht durchschwindeln. Nicht in der Verwaltung des Staates und nicht in Unternehmen. Nicht im Privatleben und auch nicht im Studium.

Allerdings dürfen das die Bürger, die von den Eliten zu Recht Ehrlichkeit verlangen, selbst auch nicht tun. Schummeln gilt nicht. (Conrad Seidl, 12.3.2021)