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Autor: Prof. Wolfgang Güttel, Professor am Institut für Managementwissenschaften der TU Wien und Dean an der Academy for Continuing Education

Die Geschichte der Digitalen Transformation bei Xerox begann spätestens vor rund 50 Jahren. Der damalige Weltmarktführer bei Fotokopieren hegte Ende der 1960er Jahre berechtigte Furcht, dass mit dem Auslaufen des Patentschutzes auf sein Kernprodukt die globale Marktdominanz bei der Bürotechnik abhandenkommen könnte. Deshalb gründete Xerox 1970 in der Nähe der Stanford University das Palo Alto Research Center (PARC). Dort sollten die führenden Informatiker ihrer Zeit in einem von großen Freiheiten geprägten Umfeld völlig neuartige Computertechnologien zum Einsatz im modernen Büroalltag entwickeln. PARC war unglaublich erfolgreich und legte die Grundlagen für den Personal Computer, für die grafische Benutzeroberfläche, für E-Mail-Kommunikation oder für objektorientierte Programmiersprachen.

Das tragische jedoch: keine dieser disruptiven Innovationen wird mit Xerox in Verbindung gebracht. Vielmehr formten etwa Apple, Microsoft oder 3com aus den Ideen tragfähige Geschäftsmodelle.

Die Geschichte der Digitalen Transformation bei Xerox begann spätestens vor rund 50 Jahren.
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Exploitation und Exploration

In unseren aktuellen Forschungsprojekten mit österreichischen Hidden Champions sehen

wir, dass 50 Jahre später viele Unternehmen in ähnlicher Weise die digitale Transformation versuchen. Die Grundidee, eigene Organisationseinheiten fernab der etablierten Strukturen zu gründen, ist bestechend. In explorativen Freiraumbereichen sollen radikale Innovationen entwickelt werden, während die Kernorganisationen weiterhin ihre bisherigen Geschäftsmodelle verfolgen und Profite erwirtschaften können.

Eine solche Balance aus der Nutzung bestehender Kompetenzen – Exploitation – bei gleichzeitiger Entwicklung völlig neuartiger Geschäftsmodelle – Exploration – wird zunehmend auch in der Wirtschaftspraxis als Ambidexterity, vereinfacht als Beidhändigkeit übersetzt, bezeichnet. Metaphorisch bleibt bei der digitalen Transformation eine Hand in der alten Welt, während die andere Hand jene neuen Chancen ertastet, die das langfristige Überleben des Unternehmens sicherstellen sollen.

Die digitale Transformation richtig meistern

Das Xerox PARC-Beispiel lehrt jedoch, dass drei Themenfelder integrativ betrachtet werden müssen, um den Übergang erfolgreich zu meistern. Erstens braucht es durchaus Freiraumbereiche, die in eigenständigen Einheiten organisiert sind, um die Fühler nach disruptiven Innovationen aus neuen Technologiefeldern oder fernen Branchen auszustrecken und nicht dem Anpassungsdruck der profitorientierten Kernorganisation ausgesetzt zu sein.

Zweitens sind aber gemeinsame Abstimmungsmechanismen zwischen Unternehmensspitze und den explorativen Einheiten zu etablieren, um bei vielversprechenden Innovationen schnell die Transformation in marktfähige Geschäftsmodelle in die Wege leiten zu können.

Drittens braucht es dann ein Kommittent über alle Ebenen, um Neuerungen konsequent umzusetzen. Dafür müssen Unternehmen auch das strategische Warum erklären. Denn sonst verkommen digitale Technologien zu Spielwiesen für sonderbare Einheiten mit zweifelhaftem Ruf, da sie Geld verbrennen und keine markttauglichen Produkte entwickeln; besonders in Corona-bedingt unsicheren Zeiten. Der Ball muss daher innerhalb des Unternehmens von der explorativen Einheit in die exploitative zurückgespielt werden, um beidhändig – ambidextrous – agieren zu können. Sonst ergreift der Wettbewerb die Chance.