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Für die Jugend braucht es Perspektiven, fordert SOS-Kinderdorf.

Foto: Getty Images/Finn Hafemann

Die Jugend ist derzeit alles andere als eine unbeschwerte Zeit – wie stark Jugendliche gegenwärtig belastet sind, bemerkt man auch bei Rat auf Draht, der Beratungshotline von SOS-Kinderdorf. Nach einem Jahr Corona zog sie am Donnerstag Bilanz. Knapp 69.000 Beratungen haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dieser Zeit durchgeführt. Die Anrufe zeigen, dass die Probleme existenzieller geworden sind. "Jugendlichen geht es nicht mehr so sehr um Sex, die ersten Reisen oder Streit mit Freunden. Sie berichten von Zukunftsängsten, von Überforderung, Müdigkeit, Antriebslosigkeit und Depressionen", sagt Birgit Satke, Leiterin von Rat auf Draht.

Rund 1.100 Gespräche haben die Beraterinnen und Berater im vergangenen Jahr allein zum Thema Angst geführt – 60 Prozent mehr als im Jahr davor. Viele Anrufer hätten Sorge, dass sie ihren Job verlieren oder das Schuljahr nicht schaffen, sagt Satke.

Auch die Beratungen zu Essstörungen und Schlafstörungen haben zugenommen, und zwar um 35 bzw. 64 Prozent. Immer mehr Anrufer berichten auch von Panikattacken. "Das liegt daran, dass Psychotherapie nur sehr eingeschränkt stattfinden konnte", sagt Satke. Die Beratungen rund um Suizid sind im vergangenen Jahr um 15 Prozent gestiegen.

Gefühl der Ohnmacht

"Jugendliche stehen von allen Seiten unter Druck", erläutert Katrin Grabner, Kinderrechtsexpertin bei SOS-Kinderdorf. Die Schule, die Arbeit, die sozialen Medien, die vorgeben, jeder müsse "schön und erfolgreich sein" – all das belaste die Jungen. "Sie ahnen auch, dass sich das Wachstumsversprechen für sie nicht erfüllen wird, also dass es ihnen einmal nicht besser gehen wird als ihren Eltern." Das führe zu dieser fatalen Mischung von Zukunftsangst und Perspektivenlosigkeit.

Zusätzlich hätten Junge wenig Erfahrung mit Krisen. Ihren Eltern würden sie sich oft nicht anvertrauen, weil sie ihnen keine zusätzlichen Sorgen bereiten möchten. Der Kontakt zu den Großeltern ist rar, ebenso wie der zu Gleichaltrigen. "Das ist in einer Phase der Identitätsfindung besonders hart", sagt Grabner. Die mangelnde Aussicht, dass das Leben bald wieder normal wird, führe zu einem Gefühl der Ohnmacht.

Bezahltes "Perspektivenjahr"

Was muss getan werden, damit es den Jugendlichen besser geht? Dazu hat Grabner einige Ideen. Das Krisenbudget müsse aufgestockt werden, um gegen die Arbeitslosigkeit der 15- bis 25-Jährigen anzukämpfen. Außerdem brauche es mehr Beratung, die leicht zugänglich ist, und ein größeres Angebot an Therapie.

Ein weiterer Vorschlag: eine Art Grundsicherung für junge Erwachsene zwischen 18 und 21 Jahren. Dieses "Perspektivenjahr" nach dem Vorbild Dänemarks und Irlands brauche es, "damit die Jugend wieder die Zeit des Ausprobierens wird". Konkret stellt sich Grabner 800 bis 1.000 Euro pro Monat vor mit der Möglichkeit, geringfügig dazuzuverdienen. (Lisa Breit, 11.3.2021)