Die Gravitationskraft, die diese winzige Goldkugel ausübt, lässt sich messen.
Illu.: Tobias Westphal / Arkitek Scientific

Vier fundamentale Kräfte halten die Welt in Bewegung: Gravitation, Elektromagnetismus, schwache Wechselwirkung und starke Wechselwirkung. Zumindest war das bis vor einigen Jahrzehnten allgemeiner Konsens in der Fachgemeinschaft. Mittlerweile hat dieses Bild allerdings Risse bekommen. Das heutige Standardmodell der Elementarteilchenphysik konnte bereits die elektromagnetische und die schwache Wechselwirkung auf einen gemeinsamen Ursprung zurückführen. Das freut natürlich vor allem jene Forscher, die gleichsam hinter dem "heiligen Gral" der Physik her sind, der theoretischen Vereinigung aller dieser Grundkräfte mit der Quantentheorie – auch gerne als "Weltformel" bezeichnet.

Aktuell scheint man von einer solchen aber noch weit entfernt. Die starke Wechselwirkung steht im gegenwärtigen Standardmodell der Elementarteilchenphysik noch immer unverbunden herum, und die schwächste der vier Fundamentalkräfte, die Gravitationskraft, sträubt sich generell in viele Richtungen, vor allem wenn man ihr mit Quantenphysik kommt.

Widerspenstige Gravitation

In der klassischen Physik wird mit ihr als unmittelbar und ohne Zeitverlust wirkende Kraft gerechnet, Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie sieht in der Gravitation dagegen weniger eine Kraft als vielmehr eine Folge der Masse, die die vierdimensionale Raumzeit verzerrt. Die Stärke der Schwerkraft wird auch vom Abstand zum Zentrum festgelegt. Auf dem Mond, der etwa 80-mal leichter und fast viermal kleiner als die Erde ist, fallen alle Objekte pro Sekunde sechsmal langsamer.

Und auf einem Planeten von der Größe eines Marienkäfers? Auch der würde natürlich die Raumzeit krümmen, die Fallbeschleunigung dort wäre allerdings 30 Milliarden Mal geringer als auf der Erde. Was hier klingt wie Zahlenspielerei, könnte in Wahrheit dazu beitragen, die Gravitation mit der Quantenphysik zu versöhnen. Eine interessante Idee, wie das gehen könnte, hatte ein Team um Markus Aspelmeyer von der Fakultät für Physik der Universität Wien.

Paradoxe Phänomene

Das Problem auf ganz kleinen Skalen ist, dass sich mit der Allgemeinen Relativitätstheorie zwar gut die Phänomene der Gravitation beschreiben lassen, die teilweise paradox erscheinenden Quantenphänomene mit ihr jedoch unvereinbar sind. Beispielsweise könnte man bei quantenphysikalischen Experimenten Quanten gleichzeitig zwei oder mehr, auch einander widersprechende Zustände einnehmen lassen – die Physiker nennen das "Superposition". "Ungeklärt ist allerdings, ob das Gravitationsfeld einer solchen Masse auch in einer Superposition ist", sagt Aspelmeyer, der auch am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der ÖAW arbeitet.

Doch der Physiker sieht einen experimentellen Weg, um zu klären, ob die Gravitation eine Quantenbeschreibung braucht. Freilich stehen die Forscher erst ganz am Anfang, noch ist man weit weg von einer Masse, die groß genug ist, dass man ihr Gravitationsfeld messen kann, und gleichzeitig klein genug ist, um sie in Superposition bringen zu können. "Ich glaube aber, dass es prinzipiell möglich ist", so Aspelmeyer, der gemeinsam mit Tobias Westphal einen Schritt in diese Richtung unternommen hat.

Beim Experiment von Henry Cavendish vor über 200 Jahren wurde die Gravitationskraft von massiven Bleikugeln bestimmt.
Grafik: Archiv

Messrekord mit historischem Vorbild

Letztlich lief es bei dem Problem auf die Frage hinaus: Wie klein ist die kleinste Masse, deren Gravitationskraft man noch zweifelsfrei messen kann? Also recherchierten die Forscher zunächst die kleinste bisher gemessene Gravitationskraft und fanden heraus, dass die meisten Experimente mit mehreren Kilo schweren Kugeln durchgeführt wurden. US-Kollegen versuchen, Gravitation auf sehr kleinen Distanzen zu messen, aber auch sie verwenden dafür Objekte mit einem Gewicht im Grammbereich.

Den Wiener Forschern ist es gelungen, dies Massen mit ihren rund zwei Millimeter großen, nur rund 90 Milligramm schweren Goldkugeln um den Faktor zehn zu unterbieten. Sie griffen beim Aufbau ihres Experiments auf den berühmten Versuch des britischen Naturforschers Henry Cavendish (1731–1810) zurück. Der konnte 1797 mithilfe einer sogenannten Drehwaage die Gravitationskraft messen, die von einer 30 Zentimeter großen und 160 Kilogramm schweren Bleikugel erzeugt wird und auf eine viel kleinere Kugel wirkt. Cavendish konnte so mithilfe von Newtons Gravitationsgesetz erstmals die Masse der Erde und damit auch ihre mittlere Dichte bestimmen.

Filigraner Aufbau

Aspelmeyer und Westphal haben eine Miniaturvariante dieses Experiments aufgebaut. Als gravitative Masse (die sogenannte "Quellmasse") dient ein 90 Milligramm schweres und zwei Millimeter durchmessendes Goldkügelchen. Seine Wirkung wurde so wie bei Cavendish mithilfe eines sogenannten Torsionspendels bestimmt. Dazu wurden an den Enden eines vier Zentimeter langen, einen halben Millimeter dünnen Glasstabs zwei ähnlich große Goldkugeln wie die Quellmasse befestigt und diese "Hantel" an einer Glasfaser aufgehängt, die nur ein paar Tausendstel Millimeter dicht war. Gold verwenden die Forscher, "weil seine Dichte groß und homogen verteilt ist und damit der Schwerpunkt nahe der Mitte der Kugel liegt", so Aspelmeyer. Damit lassen sich Distanzen zwischen den Massenschwerpunkten sehr präzise messen.

Wird nun die Quellmasse in der Nähe einer Kugel auf dem Torsionspendel vor und zurück bewegt, ändert sich auch die Anziehungskraft auf diese Kugel, und das Torsionspendel beginnt entsprechend zu schwingen. Diese Bewegung von nur einigen Millionstel Millimetern lässt sich mithilfe eines Lasers messen, und daraus kann man auf die Gravitationskraft der Goldkugel schließen.

Beim etwas moderneren Versuchsaufbau von Tobias Westphal und Markus Aspelmeyer kommen 90 Milligramm schwere Goldkügelchen zum Einsatz.
Foto: Barbara Mair

Kampf gegen die Störgrößen

Für die Physiker war es nicht einfach, andere Einflüsse auf das Torsionspendel möglichst klein zu halten, etwa seismische Schwingungen, die durch Fußgänger und den Verkehr rund um das Labor in Wien-Alsergrund erzeugt werden. Auch das Gravitationsfeld der Straßenbahn, die in rund 70 Meter Entfernung am Labor vorbei fährt, musste berücksichtigt werden: "Die Gravitationskraft der Straßenbahn ist immerhin ungefähr so groß wie jene unserer Quellmasse", sagte Aspelmeyer.

Aus diesem Grund haben die Wissenschafter ein Torsionspendel verwendet und vor allem nachts und während der Weihnachtsfeiertage gemessen, als es nur wenig Verkehr gab. Auch andere Effekte wie elektrostatische Anziehungskräfte mussten abgeschirmt werden. Doch der Aufwand lohnte sich: Er ermöglichte erstmals, das Schwerefeld eines so kleinen Objekts zu bestimmen, wie die Forscher im Fachjournal "Nature" schreiben. "Was wir hier eigentlich messen ist also, wie ein Marienkäfer die Raumzeit krümmt", so Westphal.

Auf in Richtung Planck-Masse

Auch wenn man von der Schnittstelle Quantenphysik und Gravitation noch weit weg sei, eröffne die Möglichkeit, Gravitationsfelder von kleinen Massen und bei kleinen Abständen zu vermessen, neue Möglichkeiten zur Erforschung der Gravitationsphysik. "Dort gibt es überall, wo man hinschaut, offene Fragen", so Aspelmeyer.

Als nächsten Schritt wollen die Physiker ihr Experiment weiter miniaturisieren und "in Richtung der Planck-Masse gehen und schauen, ob wir das Gravitationsfeld eines Objekts im Mikrogramm-Bereich messen können. Das wäre noch einmal um einen Faktor 1.000 kleiner als die Masse unseres Goldkügelchens." (red, APA, 11.3.2021)