Die bekannte Bibliothek Oodi in Helsinki, Finnland.

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Amazon ist nicht nur ein Riese im Handel mit Gütern aller Art über seinen Onlineshop, sondern speziell auch im Buchverkauf, der einst das Kerngeschäft des Unternehmens war. Speziell bei E-Books hat man ein mächtiges Ökosystem geschaffen, das fast einem Monopol gleicht. Man verkauft Bücher digital, bietet sie auch im Monatsabo an, und mit der Kindle-Reihe hat man auch technisch gute E-Reader im Angebot, die recht günstig zu erstehen sind. Die eigenen Bücher werden darüber auch offensiv an die User vermarktet.

Das Problem daran: Es ist ein goldener Käfig. Amazon setzt auf ein eigenes, geschütztes E-Book-Format, AZW, und Audiobooks, die exklusiv mit den eigenen Geräten und Software bzw. im Browser geöffnet werden können. Gleichzeitig verschließt man sich selbst – und die Kindles – gegenüber freien Standards wie EPUB, den viele andere, wesentlich kleinere E-Book-Verkäufer nutzen.

Es gibt zwar Hilfsmittel, um die Inhalte in andere Formate umzuwandeln, doch Amazon setzt immer wieder Maßnahmen dagegen, und viele Anwender kennen diese Möglichkeiten entweder nicht oder wollen diesen Umweg nicht auf sich nehmen. Zudem setzt dies in jedem Fall ein Amazon-Konto voraus und wirft rechtliche Fragen auf.

Verleger, Verkäufer und Zugangsanbieter in einem

Für Bibliotheken wird das zusehends zum Problem, berichtet die "Washington Post" (ein Medium, das sich im Besitz von Amazon-Gründer Jeff Bezos befindet). Von den meisten Werken können sie gedruckte Exemplare und E-Books in nicht-proprietärem Format über die jeweiligen Verlage beschaffen.

Jedoch agiert Amazon auch immer stärker selbst als Verleger. Zu seinen Marken in diesem Bereich gehören etwa Audible, Lake Union und Thomas & Mercer. Und während andere ihre Titel an Büchereien in klassischem Format und als E-Book verkaufen, tut Amazon dies mit digitalen Büchern nicht. Denn dazu müsste man diese in einem anderen Format anbieten, zumal die Bibliotheksnutzer andernfalls gezwungen wären, ein Amazon-Konto anzulegen.

Viele Bücher landen nie in der Bibliothek

Nun hat der Konzern damit begonnen, Werke ausschließlich digital anzubieten. Etwa die Geschichtensammlung Nothing Like I Imagined von der Kabarettistin Mindy Kaling. Diese verlegt ihr Buch über Amazon, wo es als "online exclusive" vermarktet wird. Wer keinen Amazon- oder Audible-Account hat, kann dieses Buch nicht lesen oder als Audiobook anhören.

Ähnliches gilt für andere Werke, die Amazon auf verschiedenen Kanälen exklusiv vertreibt. Etwa Trevor Noahs Born A Crime, das in Bibliotheken nur im CD-Format als Audiobook aufliegt, aber nicht online bezogen werden kann. Übers Internet beziehbar ist es nur bei Amazon, Apple und Kobo.

Es gibt immer mehr Werke, die in verschiedenen Formaten oder als Ganzes nicht mehr im Angebot der Büchereien landen. Neben Büchern bekannterer Autoren sind das etwa auch die zigtausend Werke weniger bekannter Autoren, die Amazon als Eigenverlagsplattform nutzen. Sofern sie ihre Bücher nicht selbst auch in anderer Form anbieten, werden auch sie niemals in Bibliotheken eingelistet werden.

Die Macht der Riesen

Das zeigt den zunehmenden Einfluss großer Techkonzerne auf unser Leben, gerade in Zeiten der Pandemie, in denen der physische Besuch einer Bücherei für viele nicht oder nur eingeschränkt möglich ist. Doch es regt sich Widerstand. Die amerikanische Büchereienvereinigung ALA übt schon länger scharfe Kritik an Amazon. Es gibt aus New York und Rhode Island bereits Vorschläge für eine Regelung, mit welcher der Konzern und andere Anbieter dazu verpflichtet werden sollen, E-Books an Büchereien zu "angemessenen Bedingungen" abzugeben. Ein ähnlicher Entwurf wird in Maryland bald dem Senat des Bundesstaats vorgelegt.

Im Dezember erklärte Amazon, bezüglich des Verkaufs von E-Books mit der Nonprofit Digital Public Library of America in Verhandlung zu stehen. Jedoch ist das nicht der Dienstleister, über den die meisten öffentlichen US-Bibliotheken ihre digitalen Bücher beziehen und verborgen – sondern Overdrive. Zudem sind E-Books aus der Selfpublishing-Schiene und Audiobooks im verhandelten Paket nicht enthalten. Immerhin: Overdrive und Amazon befinden sich zumindest in unverbindlichen Gesprächen über eine mögliche Zusammenarbeit, und auf Kindle-E-Readern können via Overdrive ausgeborgte Bücher auch gelesen werden.

Archivierung wird erschwert

Die Implikationen des Status quo fasst die Präsidentin der Public Library Association, Michelle Jesky, zusammen. Für wie viele Dienste müsse man sich heute anmelden, um alles lesen zu können, was einen interessiere, sagt sie. Einst hatte man alles gesammelt in der öffentlichen Bibliothek zur Verfügung. Ähnlich sieht das Mary Rasenberger, Geschäftsführerin der Autorenvereinigung Authors Guild. "Alle Bücher sollten in allen Formaten in Bibliotheken verfügbar sein", sagt sie. Das sei auch der Wunsch der Schreiber selber.

Aber auch die Bedingungen, unter denen Büchereien E-Books von anderen Anbietern beziehen können, sind hinterfragenswert. Mitunter gibt es Abmachungen, denen zufolge die digitalen Werke mit eingebautem Ablaufmechanismus kommen, der entweder nach einer bestimmten Anzahl an Leihvorgängen oder zu einem festgelegten Datum schlagend wird. Das erschwert es den Bibliotheken, einem ihrer Kernaufträge – der Archivierung von Büchern für die Nachwelt – nachzukommen.

Manche Verlage argumentieren, dass ein zu einfacher Zugang zu ihren E-Books den Verkaufszahlen schade. Bibliotheken halten dem Entgegen, dass sie Umwegrentabilität liefern, weil sie einerseits selbst für die Bücher bezahlen und andererseits die Werke bei Lesern bekanntmachen, die auch analoge Bücher und Audiobooks kaufen. (red, 11.3.2021)