Der auf dem Boden fixierte Mann wurde beinahe von einem Polizeibus überrollt. Er wollte einen Polizeieinsatz im Rahmen einer Demo beobachten.

Foto: Lukas David Beck

Der Vorfall trug sich zwar bereits im Mai 2019 zu, doch die Aufarbeitung dauert an: Damals veranstalteten Klimaaktivisten eine Straßen-Sitzblockade bei der Wiener Urania. Als die Polizei diese auflöste, kam es zu Zwischenfällen, die bereits mehrere Gerichtsverhandlungen nach sich zogen.

Ein besonders aufsehenerregender Fall war jener von Anselm Schindler. Der Mann, tätig als freier Journalist und auch Aktivist, war eigentlich nur als Beobachter anwesend, wie er selbst sagte. Im Laufe des Einsatzes kam es jedoch dazu, dass er festgenommen wurde, und dies auf eine fragwürdige Art und Weise: Er wurde von Polizisten auf dem Boden fixiert, während sein Kopf unter einem Polizeibus zu liegen kam. Währenddessen fuhr der Bus an, der Wagen stoppte, erst kurz bevor er über Schindlers Kopf rollte.

Viel Videomaterial

Das Ergebnis monatelanger Ermittlungen ist nun eine Anklage gegen jenen Polizisten, der an der Festnahme führend beteiligt war – sie liegt dem STANDARD vor. Dem Beamten wird Missbrauch der Amtsgewalt und falsche Beweisaussage vorgeworfen.

Der Fall ist nicht nur deshalb interessant, weil er medial und politisch breit thematisiert wurde, sondern auch, weil die Ermittler auf umfangreiches Videomaterial zurückgreifen konnten, das von der Sitzblockade und deren Auflösung vorlag. Denn oftmals steht bei derartigen Vorfällen bei Demonstrationen Aussage gegen Aussage.

Keine Abmahnung

Was passierte nun also, bevor der Kopf Schindlers unter dem Auto landete? Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hat sich der Vorfall folgendermaßen zugetragen: Als die Polizei die von etwa hundert Demonstranten eingerichtete Sitzblockade bei der Urania auflöste, kam es währenddessen zu einer Versammlung von Sympathisanten, die das Geschehen beobachteten. Die Aufgabe des angeklagten Beamten sei gewesen, die Unterstützer zurückzudrängen. Schindler habe sich unter die Sympathisanten gemischt, beobachtet und Videos gemacht. Dann seien der Angeklagte und Schindler ins Reden gekommen, dabei habe Schindler eine "normale Körperhaltung" gehabt, seine Arme unten gehalten, er sei nicht aggressiv gewesen, habe allerdings einmal gegrinst. Feststellungen der Staatsanwaltschaft, die kurios anmuten mögen, die für die Angelegenheit aber wichtig sind – dazu später.

Schindler hat sich, laut dieser Darstellung, nach einer zweiten Aufforderung, den Ort zu verlassen, wegbewegt. Wenige Sekunden später wurde er vom Angeklagten mit temporärer Unterstützung zweier Kollegen in den von der Polizei eigentlich abgetrennten Bereich gezogen und dort auf dem Boden fixiert. Der Angeklagte habe Schindler zuvor weder abgemahnt noch aggressives Verhalten beklagt. Festgehalten wird ebenfalls, dass Schindler durch die Amtshandlungen Verletzungen erlitt. Der Beamte "hielt es ernstlich für möglich und fand sich damit ab, Anselm Schindler durch den Vollzug der rechtswidrigen Festnahme am Körper zu misshandeln", heißt es in der Anklage. Die Körperverletzung wird jedoch nicht separat angeklagt, weil sie als Teil des Missbrauchs der Amtsgewalt gesehen wird.

Kein Fuchteln

Schindler verbrachte die Nacht im Polizeianhaltezentrum und wurde angezeigt. Die Anzeige durch den Angeklagten sei aber "tatsachenwidrig" gewesen, meint die Staatsanwaltschaft: Schindler sei weder aggressiv gewesen, noch habe er geschrien, noch habe er mit den Händen gefuchtelt.

Dass dem nicht so war, hielt bereits das Verwaltungsgericht vor einem Jahr fest: Es könne ausgeschlossen werden, dass die Darstellung seitens des Beamten stimme, hieß es damals. Bereits zwei Monate zuvor wurde überhaupt die gesamte Amtshandlung als rechtswidrig erkannt. Weil der Angeklagte im Zuge des Verfahrens beim Verwaltungsgericht die Behauptungen wiederholte, ist er nun auch wegen falscher Beweisaussage angeklagt.

"Ohne die Zeuginnen und Zeugen, die mit ihren Aussagen und Handy-Videos dafür gesorgt haben, dass die Wahrheit ans Licht kommt, hätten wir in diesem Verfahren wohl keine Chance gehabt", sagt Schindlers Rechtsanwalt Clemens Lahner. Jedoch gehe es weniger um den nun angeklagten Polizisten, als vielmehr darum, dass polizeiliches Handeln einer "effektiven und unabhängigen Kontrolle" unterworfen sein müsse.

Strafantrag gegen Fahrer

Der Angeklagte bestreitet, dass keine Voraussetzungen für die Festnahme vorgelegen seien und betont, die Tatsachen so protokolliert zu haben, wie er sie in Erinnerung hatte.

Wegen Gefährdung der körperlichen Sicherheit liegt zudem ein Strafantrag gegen den Fahrer des Polizeibusses vor – DER STANDARD berichtete. Der Beamte nahm das Angebot einer Diversion im Vorfeld nicht an. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung. (Vanessa Gaigg, 13.3.2021)